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4.9.4 Marx, Kristallbild und Geldkamera

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Marx, Kristallbild und Geldkamera. Nicht erst Marx, bereits Wenders sprach deshalb von einer Asymmetrie des Austauschs: Marx von jener des G-W-G', Wenders von der zwischen Bildern und Worten. Gibt es, über diese bloß zufällige Analoge hinaus, einen Zusammenhang, der beide Asymmetrien der Austauschbewegung verklammert? Bei Marx ist es die proletarische Arbeit ist, in der die Differenz des G' erarbeitet wird. Werden sich die Bilder etwa als Proletarier des Bewegungs-Bildes herausstellen, dazu angehalten, immer neu den Mehrwert einer bestimmten Narration zu erzeugen? Der Widerstand, den Wenders einer Unterwerfung der Bilder unter die Gesetze dieser Narration entgegensetzt, kündigt sich hier jedenfalls als unverzichtbares Element einer "Politik der Bilder" an. In ihr steht nicht so sehr zur Diskussion, wer erzählt – ein "Autor" oder ein Kapital. Beides liefe aufs gleiche hinaus, denn tatsächlich geht es um das Wesen von Erzählung und Erzählhandlung "selbst". Bereits die Bestimmung der Kamera als "allgemeines Äquivalent" führt ins Innere dieses Problems. An den Grenzen des Bewegungs-Bilds, an den Grenzen virtueller Bilder der Erinnerung und des Traums zeichnet sich die Frage der Zeitlichkeit ab. Sie wird sich nicht mehr als abgeleitetes Moment der Bewegung zeigen können. Und dies markiert bereits der Marx'sche Begriff des Geldes, sofern es die Funktion des "allgemeinen Äquivalents" übernimmt. Zwar stellen sich in ihm die zirkulierenden Warenbilder zunächst dar, um sich austauschen und so die Erzählungen der "Warensprache" (Marx) entfalten zu können. Doch um als "allgemeines Äquivalent" fungieren oder die Narration verbürgen zu können, muß das Geld der Zirkulation auch entzogen sein. Die Bewegung stellt sich als zeitlich dar, doch nur, weil sich die Zeitlichkeit in einer besonderen Ware auskristallisiert hat. "Die Zirkulation wird die große gesellschaftliche Retorte, worin alles hineinfliegt, um als Geldkristall wieder herauszukommen. Dieser Alchimie widerstehn nicht einmal Heiligenknochen und noch viel weniger minder grobe res sacrosanctae, extra commercium hominum." 57

Ist es bloßer Zufall, wenn sich das Zeit-Bild bei Deleuze im Kristall ankündigen wird? Wenn es im Kristall-Bild seinen Ausdruck findet, in dem wirkliches und virtuelles Bild einander gegenübertreten werden? Wenn es Austauschbeziehungen der Bilder eröffnet, also die Zeit nicht mehr aus der Bewegung ableitet, sondern Bewegungen aus einer Alchimie der Zeit hervorgehen läßt? Alles läuft auf diese Frage zu. Darin besteht der Stand der Dinge, und längst tragen die Filme Wenders' diesen Konflikt von Bewegungs-Bild und Geldkristall aus. In ihm steht nicht nur die Diktatur des Geldkristalls auf dem Spiel – sondern damit vor allem die Frage eines anderen Sehens, einer anderen Zeit und anderer Bilder: "was ihnen an Aktion und Reaktion verlorengegangen ist, haben sie an Hellsicht gewonnen: sie SEHEN, und das Problem des Zuschauers wird nun heißen: 'Was ist auf dem Bild zu sehen?' (und nicht mehr: 'Was ist auf dem nächsten Bild zu sehen?')". 58

Uploaded Image: pfeil.gif 5.0 Das Digitale

  57 Karl Marx: Das Kapital, Bd.I, ebd., S.145.
58 Deleuze II, S.348.






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