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4.9.1 Doppelte Grenze

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Doppelte Grenze. Und doch ist, wie Deleuze erklärt, "mit dem Film im Film nicht ein Ende der Geschichte erreicht, und er findet seine Rechtfertigung in sich selbst ebensowenig wie die Rückblende oder der Traum: es handelt sich hierbei um ein Verfahren, das seine Notwendigkeit anderswoher empfangen muß. Und in der Tat haben wir es mit der Art und Weise der Zusammensetzung des Kristallbildes zu tun." 50 Mit dem Kristallbild wird sich die Frage nach der Zeitlichkeit also anders stellen. Sie wird sich nicht mehr darauf beschränken, Zeit als untergeordnetes Moment der Bewegung erscheinen zu lassen. Und ebenso wird das Kristallbild mit einer Vorstellung brechen, die Vergangenheit nur als "vergangene Gegenwart" denken kann. In gewisser Hinsicht operieren die Filme Wenders' mit äußerster Intensität an dieser Grenze zur kristallinen Figur des Zeit-Bilds, arbeiten sie beständig daran, die Beziehungen von Bewegung und Zeit umzukehren. So entspannt sich die Erzählung eines "Films im Film" nicht zu einer chronologischen Abfolge, die "wie notwendig" auf eine Gegenwart zusteuern würde. Vielmehr durchläuft sie immer neue Schnitte, die heterogene Erinnerungsbilder verketten und die Hegemonie einer bestimmten "Gegenwart" aufbrechen. Genauso zersetzt sich der romantische Traum einer Rückkehr zum Ausgangspunkt unablässig in Affekten, in denen die Bewegung als Anderswo ihrer selbst neu einsetzen. Zwar bleibt das Zeit-Bild auch bei Wenders "indirekt", doch wirkt es mit einer Kraft auf Bewegungen, Erinnerungen und Träume ein, die sie Figuren eines Abschlusses zu entwinden sucht.

Zumindest zeichnen sich hier Fragen an Wim Wenders ab... Denn kehrt in seinen Bildern nicht auch wieder, was eine Linearisierung und Verräumlichung der Zeit wiederherstellen könnte? In einigen Äußerungen scheint er auf einer Utopie des Raums zu bestehen, die sich auf die des Ortes zuspitzt; so über Bis ans Ende der Welt: "Ich mache jetzt als nächstes einen Film, der das Reisen auf die Spitze treibt, bis zu dem Punkt, wo man vielleicht tatsächlich sagen kann, daß die Welt ein einziger Ort oder ein einziges Dorf wird." 51 Und dieser Verräumlichung scheint mitunter ein Gestus zu entsprechen, der die Zeitlichkeit einer Topografie von Wegen unterordnet; so sagt Wenders über seine Beziehungen zu Tarkowskij, der von seinen Filmen als einer "Zeitskulptur" spricht: "Bei ihm geht es dann bis in die Metaphysik hinein, weil es Zeitskulpturen sind, die auch den Begriff von Zeit neu formen. Meine Filme sind eher ganz lineare Zeitskulpturen, weil sie immer einen Weg in Relation zu einer Zeit beschreiben, in dem eine Zeit dann immer etwas höchst Konkretes ist – oder vielmehr ein Raum. Meine Filme beschreiben eigentlich einen Zeitraum." 52

Uploaded Image: pfeil.gif 4.9.2 Die Intrige

  50 Deleuze II, S.106.
51 Wim Wenders: The Act of Seeing, ebd., S.48.
52 ebd., S.51.






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