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Zenons Paradoxien


"Einst begegnete Achilles einer Schildkröte, deren Geist flinker war als ihre Beine. Sie forderte den athletischen Helden zum Wettlauf heraus, und er willigte belustigt ein. Die Schildkröte bat allerdings wegen ihrer sprichwörtlichen Langsamkeit um einen Startvorsprung. Den räumte Achilles ihr großzüig ein, und sie begann eifrig davonzukriechen; er aber ließ sich viel Zeit, schnürte seine Sandalen fester und lief ihr endlich nach. In kürzester Zeit überwand er die Entfernung, die ihn beim Start von derSchildkröte getrennt hatte. Zwar war auch das Tier unterdessen einkleines Stück weitergekommen, doch diesen geringen Abstand legte Achilles noch rascher zurück. Allerdings war die Schildkröte auch in dieser Spanne ein wenig vorangerückt, und während Achilles den neuenVorsprung einholte, war sie wiederum ein kleines Stückchen weiter. Mit einem Wort: Gleichgültig, wie schnell Achilles rannte, immer blieb die Schildkröte vorn – und so vermochte der berühmte Läufer das schwerfällige Reptil niemals zu überholen."

Diese Fabel von Achilles und der Schildkröte illustriert eine von 3 'Zenonschen Paradoxien'. Zenon (um 490 bis 430 v.Chr.) wollte die philosophischen Ideen seines Lehrmeisters Parmenides verteidigen, der, so schildert es Platon in seinem komplizierten Dialog 'Parmenides', der in den Schriften von Platons Schüler Aristoteles überliefert ist, behauptete, "das Seiende (die Wirklichkeit) sei eine ganzheitliche, unveränderliche, einheitliche Wesenheit." Die Welt sei gleichsam lückenlos und aus einem Stück. Insbesondere sei 'Bewegung' unmöglich.

Seit ca. 2500 Jahren bieten die Zenonschen Paradoxien Stoff für Debatten und Analysen. Erst heute ermöglicht eine neuartige, kaum 20 Jahre alte Formulierung der Differential- und Integralrechnung die Lösung der Zenonschen Paradoxien – behaupten jedenfalls William I. McLaughlin und Sylvia L. Miller. Aber zunächst zu den 3 Paradoxien. Oft werden sie nicht korrekt geschildert, d.h. die Argumente von Zenon treten nicht klar genug hervor.

"Die Fabel von Achilles und der Schildkröte illustriert (als erste von 3 Paradoxien) die sogenannte Dichotomie: Jede Entfernung, die ein bewegtes Objekt zurückzulegen hat, läßt sich durch fortgesetztes Halbieren (1/2, 1/4, 1/8 usw.) in unendlich viele Teilabstände zerlegen, wobei immer ein Abstand übrigbleibt, der noch zu überwinden ist. Darum behauptete Zenon, keine Bewegung lasse sich je vollständig ausführen, weil stets noch ein Wegstück fehle, wie klein es auch immer sei. (Es ist wichtig festzuhalten, daß er nicht sagte, unendlich viele Strecken könnten nicht zu einer endlichen Entfernung aufsummiert werden (ein Blick auf die Geometrie einer unendlich fein zerteilten Linie zeigt unmittelbar, ohne spitzfindige Berechnungen, daß eine unendliche Anzahl von Stücken ein endliches Intervall ergibt). Vielmehr zielt Zenons Einwand auf die Schwierigkeit, eine unendliche Anzahl von Einzelaktionen - das Durchqueren immer kleinerer Intervalle - hintereinander vollständig auszuführen.)

Einen zweiten Angriff auf die begrifflichen Grundlagen der Bewegung unternahm Zenon, indem er die erste Beweisführung gewissermaßen andersherum betrachtete. Dieses Paradoxon lautet so: Bevor ein Gegenstand – etwa ein Pfeil – die Hälfte seiner Flugbahn zurücklegen kann (das wurde im vorigen Falle immerhin zugestanden), muß er erst ein Viertel des Gesamtweges durchqueren. Wie beim ersten Einwand läßt sich diese Überlegung beliebig oft wiederholen und ergibt eine unendliche Regression – womit gezeigt wäre, daß eine Bewegung nicht nur nicht vollendet, sondern nicht einmal begonnen werden kann.

Zenons drittes Paradoxon verläuft ganz anders. Es behauptet, schon der Begriff 'Bewegung' sei inhaltsleer. Der Denker lädt uns ein, den Pfeil in einem beliebigen Moment während des Fluges zu beobachten. Zu diesem Zeitpunkt erfüllt der Pfeil ein Raumgebiet, das so lang ist, wie er selbst; dabei ist keinerlei Bewegung zu bemerken. Weil diese Beobachtung in jedem Moment wahr ist, kann der Pfeil niemals in Bewegung sein. Dieser Einwand ('Der fliegende Pfeil steht!') hat sich historisch für Zenons Widersacher als der unbequemste erwiesen.

In der Folgezeit erzielten einige Denker durchaus Fortschritte in der Frage, wie sich in der materiellen Welt eine Abfolge unendlich vieler Vorgänge ereignen könne. Ihre Erklärungen waren stets mit der Idee von 'Infinitesimalen' (Newtons Ausdruck: 'Fluxionen') verflochten – räumlichen oder zeitlichen Abständen, die den Inbegriff der Kleinheit verkörpern. Doch als man die Existenz dieser kleinen Größen streng zu begründen suchte, tauchten unzählige Schwierigkeiten auf. Schließlich fanden die Mathematiker des 19. Jahrhunderts einen kunstgerechten Ersatz: die Theorie der Grenzwerte. Ihr Sieg war so umfassend, daß einige Mathematiker von der Verbannung der Infinitesimalen sprachen. Aber im Jahre 1966 führte Abraham Robinson die geisterhaften Wesen mit seiner sogenannten 'Nichtstandard-Analysis' wieder ein. Seither sind noch mehrere andere Methoden entwickelt worden, die von ihnen Gebrauch machen."

Williams und Miller stießen bei der Untersuchung der Zenonschen Paradoxien darauf, und fanden sie attraktiv, "weil sie eine mikroskopisch scharfe Sicht auf die Details der Bewegung versprachen." Das Werkzeug,von Edward Nelson geschaffen, stand schon bereit: eine Spielart der Nichtstandard-Analysis, die 'Interne Mengenlehre' (IST, Internal SetTheory, [weitere information]). "Nelsons Methode erzeugt überraschende Deutungen scheinbar vertrauter mathematischer Strukturen. In ihrer Seltsamkeit ähneln die Ergebnisse gewissen Zügen der Quantentheorie [Ist die Zahl auch da, wenn man nicht hinschaut ? ;-)] und der Allgemeinen Relativitätstheorie [Schwarze Zahlen ! ;-)]."

Die IST erweitert nun z.B. _nicht_ (was ansonsten typisch ist) den Zahlenbereich der reellen Zahlen, sondern stellt durch Hinzufügen dreier Axiome zu den rund zehn logischen Grundvoraussetzungen sicher, daß der bereits vorhanden Zahlenbereich Zahlen enthält, die sich zwanglos als Infinitesimale interpretieren lassen. Diese Ergänzung führt das neue Prädikat 'Standard' ein und gibt an, wie man herausfindet, welche unsere alten Bekannten im Zahlenbreich Standard sind und welche Nichtstandard. Die Infinitesimalen (sowie einige andere Zahlen) fallen dabei in die Kategorie Nichtstandard. Nelson bezeichnete bei den reellen Zahlen 3 Arten von Zahlen als Nichtstandard: Die infinitesimalen Nichtstandard-Zahlen sind kleiner als jede positive Standard-Zahl, aber größer als Null. Gemischte Nichtstandard-Zahlen entstehen, indem man infinitesimale Beträge zu Standard-Zahlen addiert oder davon subtrahiert. Jede Standard-Zahl ist von solchen gemischten Nichtstandard-Nachbarn umgeben. Unbeschränkte Nichtstandard-Zahlen sind die Kehrwerte von infinitesimalen Nichtstandard-Zahlen. Jede unbeschränkte Zahl ist größer als jede Standard-Zahl, wird aber wie eine endliche Zahl behandelt.

Demzufolge ist eine Infinitesimale größer als Null, aber kleiner als jede noch so kleine Zahl, die man sich hingeschrieben vorstellen kann. "Daß solche Infinitesimale überhaupt existieren, ist nicht unmittelbar offensichtlich; aber die begriffliche Gültigkeit der IST hat sich also ebenso robust erwiesen wie die anderer mathematischer Systeme, denen wir aus guten Gründen vertrauen. Dennoch sind Infinitesimale schwer zu fassen, da zwei konkrete Zahlen (solche die im Prinzip einer Messung zugänglich sind) sich nicht durch einen infinitesimalen Betrag unterscheiden können. Der Beweis durch Widerspruch ist leicht: Die arithmetische Differenz von zwei konkreten Zahlen muß konkret sein ( und somit Standard). Wäre sie nämlich infinitesimal, so würde dies die Definition einer Infinitesimalen als einer Größe, die kleiner ist als jede Standard-Zahl, verletzen. Aus dieser Tatsache folgt, daß beide Endpunkte eines infinitesimalen Intervalls nicht durch konkrete Zahlen bezeichnet werden können. Dadurch läßt sich ein solches Intervall niemals durch ein Meßverfahren einfangen: Infinitesimale bleiben der Beobachtung für immer unzugänglich."

Schön schön, aber was hat das mit den Zenonschen Paradoxien zu tun? "Nach der bisherigen Erörterung ist klar, daß die durch konkrete Zahlen bezeichneten Raum- oder Zeitpunkte nur isolierte Punkte sind. Eine tatsächliche Flugbahn und das zugehörige Zeitintervall sind hingegen dicht mit infinitesimalen Bereichen bepackt. Demnach können wir Zenons drittem Einwand nur insoweit recht geben, als die Pfeilspitze in jedem konkret markierten Zeitpunkt gleichsam stroboskopisch fixiert wird – doch während des unermeßlich viel größeren Rests der Gesamtspanne findet eine Art Bewegung statt; diese ist gegen Zenons Kritik gefeit, da sie nur innerhalb infinitesimaler Abschnitte auftritt, deren Unbeschreibbarkeit als eine Art Abschirmung (Filter) wirkt. Geschieht die Bewegung innerhalb eines solchen Einzelintervalls etwa als gleichförmiges Vorrücken – oder als momentaner Sprung von einem Ende zum anderen? Könnte sie eine Folge von Zwischenschritten enthalten oder gar einen Vorgang außerhalb von Raum und Zeit? Die Möglichkeiten sind unbegrenzt, und keine läßt sich bestätigen oder ausschließen, den einen infinitesimalen Abstand vermag niemand zu messen. (Das Verdienst dieses Gedankengangs gebührt Benedetti, Trendelenburg und Whitehead, deren frühe Erkenntnisse jetzt mit den Mitteln der IST formalisiert werden.)

Nun zu den beiden übrigen Paradoxien. In der IST gilt, daß jede unendliche Zahlenmenge eine Nichtstandard-Zahl enthält. Daher muß auch die unendliche Folge von Kontrollpunkten, mit denen Zenon im ersten Paradoxon die Bewegung festhält, eine gemischte Nichtstandard-Zahl enthalten. Wenn Zenons unendliche Zahlenfolge sich immer mehr der Zahl eins nähert, werden die Glieder der Folge schließlich innerhalb einer infinitesimalen Entfernung von eins liegen. Alle nachfolgenden Glieder werden zu der Nichtstandard-Ansammlung um eins gehören, und weder Zenon noch jemand anderer wird imstande sein, die Fortbewegung eines Gegenstandes in diesem unzugänglichen Terrain zu verfolgen. Um Zenons erstes Paradox zu widerlegen, müssenwir nur den erkenntnistheoretischen Grundsatz aufstellen, daß wir nicht für die Erklärung von Vorgängen zuständig sind, die wir nicht beobachten können. Zenons zweite Beweisführung, die zu zeigen sucht, daß ein Gegenstand nicht einmal beginnen könne sich zu bewegen, leidet unter denselben Mängeln."

Die IST liefert (dank eines mächtigen Resultats von IST) dieselben Ergebnisse (für eine Theorie der Bewegung) wie die herkömmliche Differential- und Integralrechnung, ist aber in gewisser Weise anschaulicher – und vor allem gefeit gegen Zenons Einwände :-). "Ein in IST bewiesener Lehrsatz besagt, daß eine endliche Menge existiert, die sämtliche Standard-Zahlen enthält. Der scheinbar logische Folgesatz, daß es nur eine endliche Anzahl von Standard-Zahlen gebe, gilt aber überraschenderweise nicht."

[Ich verrat' Euch was': Philosophen sind arme Schweine. Was ist schon das Erlernen des rohen Handwerks gegenüber einer wahren Analyse der Begriffe ? ;-)] [Quelle: W.I.McLaughlin]



quelle: http://schulen.eduhi.at/mam/wolfgang/4hak/zenon.htm

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