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Von Cage zu Paik und von der Musik zur interaktiven Kunst

Von Cage zu Paik und von der Musik zur interaktiven Kunst

Allgemein gilt Nam June Paik heute als Vater der Videokunst. Sein Weg führt vom Studium der klassischen Musik in Korea und Japan über die Entdeckung Arnold Schönbergs zu John Cage und dem Interesse an elektronischer Musik schließlich zur Arbeit mit dem elektronischen Bild. Seine erste wichtige Aufführung mit dem Titel »Hommage à John Cage – Musik für Tonbänder und Klavier«[14] findet 1959 in der Galerie 22 von Jean Pierre Wilhelm in Düsseldorf statt, wo ein Jahr zuvor auch Cage aufgetreten ist. Die Verbindung von Cage und Paik liegt in ihrem gemeinsamen Interesse an zufallsbestimmten Kreationsprozessen, welche mithilfe neuer Techniken, darunter auch der Elektronik, die Rolle der menschlichen Intention und des Ideals der künstlerischen ›Idee‹ hinterfragen.[15]

Zwei Beispiele können dies verdeutlichen: Cage verwendet in seiner ersten Tonbandkomposition »Williams Mix« von 1952 zufallsbestimmte Prozesse zur Komposition einer grafischen Partitur, nach der dann acht Tonbandspuren mit generierten und gefundenen Geräuschen geschnitten und montiert werden. Cage verlässt also das etablierte Zeichensystem der europäischen Musiknotation, um mit dem neuen Medium Tonband Klang als Material handhabbar zu machen, so dass durch grafische Strukturen eine musikalische Komposition entsteht. Paik entwickelt dieses Prinzip in seinen Stücken zum Thema »Random access music« von 1963 weiter. Er verwendet auch mehrere Tonbandspuren mit vorgefundenen Klängen, lässt diese jedoch nicht durch das Tonbandgerät laufen, sondern klebt sie nebeneinander und übereinander auf eine Unterlage. Während Cage mit der Software des auf Band aufgezeichneten Tonmaterials arbeitet, greift Paik in die Hardware des Geräts ein und löst den Tonkopf aus dem Apparat, so dass der Besucher per Hand die verschiedenen Tonspuren abfahren kann. Im individuellen Zugriff des ›random access‹ entsteht eine jeweils neue Klangfolge ohne bestimmten Anfang oder Ende. Das Gerät für lineare, möglichst originalgetreue Wiedergabe von Musik wird umfunktioniert zu einem Instrument der Interaktion mit dem musikalischen Rohstoff. Während Cage den Musikern und den Geräuschen des Umfelds einen wesentlichen Anteil an seinen Stücken einräumt, baut Paik eine interaktive Installation, deren Klänge nunmehr völlig ohne kompositorische Vorgabe erst durch die Mitwirkung der Besucher entsteht. Auf vergleichbare Weise greift Paik die rezeptiv-analytische Strategie von Cages Komposition für Radioapparate von 1951 auf und überträgt sie auf das Fernsehen, geht dabei aber einen entscheidenden Schritt weiter, von der partizipativen Rezeption zur kreativen Interaktion des Publikums.[16]

Paiks »Participation TV«

Paiks erste wichtige Ausstellung »Exposition of Music – Electronic Television« findet vom 11.– 20. März 1963 in den Räumen der privaten Galerie Parnass des Wuppertaler Architekten Jährling statt. Schon der Titel zeigt den Übergang von Paik dem Musiker zu Paik dem Bildkünstler an, der sich über die Erweiterung der genannten Tonbandstücke zu Arbeiten mit demFernsehen vollzieht. In der über das ganze Haus bis in die Privaträume verteilten Ausstellung ist das Zimmer mit zwölf modifizierten TV-Geräten von den damaligen Besuchern oft nur en passant wahrgenommen worden. Erst im Rückblick von heute aus ist hier einer der entscheidenden Startpunkte der späteren Videokunst zu erkennen. Dies darf jedoch nicht vergessen lassen, dass das ganze Unternehmen wesentlich komplexer ist. Vier präparierte Klaviere, mehrere Schallplatten- und Tonbandinstallationen, mechanische Klangobjekte und ein frisch geschlachteter Ochsenkopf über dem Eingang gehören zu dem nur zehn Tage jeweils zwei Stunden abends von halb acht bis halb zehn geöffneten Ereignis. »Am Eröffnungsabend kommen fast nur Freunde der Beteiligten, an den weiteren Abenden fast niemand.«[17] Dennoch haben die zwanzig Stunden dieser Ausstellung das Jahr 1963 zur Stunde Null der Kunstgeschichtsschreibung zur Videokunst gemacht – und das, obwohl hier keinerlei Videogeräte zum Einsatz kommen.

Die abendlichen Öffnungszeiten richteten sich nach den Sendezeiten des damals einzigen deutschen Fernsehprogramms, da nur dann auf den TV-Geräten ein wie auchimmer modifiziertes Bild zu sehen war.[18] Das zeigt, wie wichtig Paik selbst diese vom Publikum und der Presse kaum gewürdigten Fernsehexperimente sind. Die gebrauchten Fernseher verschiedener Fabrikate und verschiedenen Alters sind ›at random‹ im Raum verteilt. Vom Fluxuskünstler Tomas Schmit, der am Ausstellungsaufbau mitarbeitet, stammt die beste Beschreibung der unterschiedlichen elektronischen Modifikationen: »ausgangsmaterial ist das normale fernsehprogramm, was allerdings bei den wenigsten geräten noch zu erkennen ist. (die verschiedenen komplizierten eingriffe, die paik an den inneren organen des tvs vorgenommen hatte, entziehen sich dem verständnis des elektrolaien und meinem; ich versuche, die resultate zu beschreiben): einer der fernseher zeigt ein negatives und überdies laufendes bild. bei einem ist das bild um die senkrechte mittelachse des bildschirms gewissermaßen zu einer walze zusammengerollt. bei einem ist es um die waagerechte moduliert. beim laut paik kompliziertesten fall rücken drei unabhängige sinusschwingungen den parametern des bildes zu leibe. die zweiergruppe: der untere ist waagerecht gestreift, der obere istsenkrecht gestreift. […] beim zen tv läuft mitten über den bildschirm eine einzige senkrechte, weiße linie. einer liegt auf dem gesicht und zeigt sein programm dem parkett (paik heute: ›der war kaputt.‹). […] bei vieren sind die manipulationen so, daß obendrein von außen eingespeistes das bild bestimmt oder beeinflusst: einer ist an einen vor ihm liegenden fußschalter angeschlossen; drückt man den, führen die kurzschlüsse des kontaktvorgangs dazu, daß ein feuerwerk von augenblicklich wieder verlöschenden lichtpunkten über den bildschirm spritzt. einer hängt an einem mikrofon; spricht jemand rein, sieht er ein ähnliches jedoch kontinuierliches punktefeuerwerk. am weitesten geht der kuba tv; er ist an ein tonbandgerät angeschlossen, das ihm (und uns) musik einspeist: parameter der musik bestimmen parameter des bildes. schließlich (im obergeschoß) der one point tv, der mit einem radio verbunden ist; er zeigt in der mitte des bildschirms einen hellen punkt, dessen größe sich nach der jeweiligen lautstärke des radioprogamms richtet […].«[19] Der chaotische Eindruck des TV-Ensembles täuscht also, insofern das Ganze eher einer Laborsituation mit verschiedenen Versuchsaufbauten als einer klassischen Ausstellung gleicht. Cage hat mit dem ›präparierten Klavier‹ das Instrument der europäischen Musiktradition und das Symbol des gutsituierten Bürgerhauses einer Transformation und Befreiung unterzogen. Paiks Umgang mit dem Fernsehen, das in den 1960er Jahren als teuerstes Möbel im Heim die Nachfolge des Klaviers antritt, ist ebenso anarchisch und befreiend, aber zugleich sehr differenziert und medienspezifisch. Mit den jeweiligen Modifikationen zeigt Paik verschiedene mögliche Haltungen des Zuschauers gegenüber dem Fernsehen, die vom Meditationsobjekt (»Zen for TV«) bis zum Interaktionsobjektreichen. Auch wenn Künstler nicht selbst zu TV-Machern werden, so können sie doch modellhaft neue Umgangsweisen mit dem Medium zeigen. Paiks Idee des »participation TV«[20], welches dem Betrachter statt passivem Konsum aktive Teilnahme erlaubt, weistvoraus bis zur heutigen Diskussion über Interaktivität und Multimedia als Massenmedien des 21. Jahrhunderts.[21]

Das deutsche öffentlich-rechtliche Fernsehen war an solchen Vorschlägen für die Zukunft des Mediums nicht interessiert und hat von Paiks Ausstellung keineNotiz genommen. Der Zufall will aber, dass kurz danach, am 1. April 1963, das ZDF in Deutschland seinen Betrieb aufnimmt und somit der Zuschauer erstmals die Möglichkeit zur Auswahl zwischen zwei Progammen erhält – vorausgesetzt er hat seinen Fernseher mit der entsprechenden Set-Top-Box aufgerüstet. Man bedenke, dass bis dahin zumindest in Deutschland die einzige Interaktion des Zuschauers mit dem TV-Bild die Bedienung des An/Aus-Schalters war.



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