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Vortrag: Der Hunger der Vampire

Textauszug aus Vortrag von Susanne Dudda am 20.1.06, HfbK r230

In Volksglauben und phantastischer Literatur lassen sich zwei Arten von Vampiren ausmachen. Die einen umtriebig, die anderen verhalten. Sie sind so viele, die hungrig sind.

Der Umtriebige, spektakulärer und wohl darum häufiger in der Literatur vertreten, sucht ausserhalb seines Grabes nach Nahrung. Sein Opfer ist der andere, dessen Blut er vorwiegend begehrt, doch gibt es auch fleischfressende Vampire - Ghoule -, deren Höhlen Schlachthöfe sind mit Menschenfleisch. Als Wiedergänger nimmt er seine unheilvolle Tätigkeit auf, der er andere opfert.

Der verhaltene Vampir, der Nachzehrer, verläßt sein Grab nicht. Stellvertretend für das Opfer verzehrt er erst sein Leichentuch und dann heftig schmatzend sich selbst. Diese Selbstgenügsamkeit verschont ihn jedoch nicht vor Pöbel und Verfolgung. So behauptete Martin Luther in einer Tischrede, daß der Selbstverzehr im Grabe zu einem Massensterben im Dorfe führt, und schrieb damit die Selbstgenügsamkeit zu öffentlicher Gefahr um. Dieser Meinung schlossen sich andere Geistliche an. 1612 und 1614 fanden in Giersdorf sogar Prozesse gegen Nachzehrer, die plagenden Toten, statt. Während die stillen Nachzehrer verurteilt und anschließend totgeschwiegen wurden, konnte der umtriebige Vampir an seinem literarischen Ruhm arbeiten und sich einen Namen machen.

Präventivmaßnahmen mußten her: so beschmierte man sich 1732 mit Vampirblut, aß von seiner Graberde und trank sein Blut zur Immunisierung. Wer potentiell ein Vampir war - Christen, die sich zum Islam bekehren ließen, Uneheliche, Exkommunizierte: also jeder, der gegen die Gebote der christlichen Kirche verstieß - wurde vorsichtshalber gleich verbrannt oder gepfählt. Die Asche wurde auf der Erde verstreut oder den Gewässern übergeben. Die Leichen wurden gefesselt, ihre Sehnen durchschnitten, die Gliedmaßen abgetrennt, das Herz gepfählt, Mund und Stirn bekreuzigt. Alle diese Bestattungsriten sollten die Wiederkehr der Toten verhindern. Zur Verbreitung dieser Vor- und Nachstellungen tat vor allem die Kirche ihr Bestes, stellten doch die Angsthysterie und Schrecksucht des Volkes vor den Blutsaugern ein geeignetes Mittel dar, gegen den Atheismus vorzugehen.

In der Phantastischen Literatur bezeichnet der Tod kein endgültiges Ende. Dort kann von der unendlichen Existenz eines unstillbaren Hungers die Rede sein und ein Szenario der Phantasie und des Begehrens als Eigensinn der Opfer ausgebreitet werden.

Vampirismus und Kannibalismus werden in der Phantastischen Literatur mit einem Überschuß an Zeichen ausgestattet. Sie sind dann als Hunger ohne Ende lesbar. Im Hunger teilt sich mehr mit als ein funktionales Bedürfnis. Hunger kann zum Ort phantasmatischer Besetzungen werden und einen Überschuß an Bedeutungen auf sich laden, die seinen Begriffsumfang erweitern. In dem Falle wäre er einem Begehren zuzuordnen, das als unstillbares nicht zu befriedigend ist, sondern sich stets vertieft.

Eine reale Einverleibung bemüht sich um die Auslöschung jeder Spur und jedes Restes. Sie will keine Zeichen hinterlassen. Wechselseitige Anleihen von Literatur und Realität, Zeichenüberschuß und -auslöschung finden dennoch auch heutzutage statt. Auf einem Friedhof in Carpentras wurde ein frisch bestatteter Leichnam gepfählt.

Vampirismus und Kannibalismus thematisieren den Begriff der Grenze. Die Grenze teilt in Subjekt und Objekt, in Eigenes und Fremdes, in das Ich und den Anderen. Selten wird sie als Grenze akzeptiert, die zur Achtung des Anderen als Fremden verpflichtet. Draußen und fremd, das wird als feindlich = bedrohlich zur narzißtischen Kränkung umgeschrieben, die nur durch die eigennützige Vernichtung des Fremden beschwichtigt werden kann. Im Kannibalismus - an sich selbst oder am Anderen -, wird das Fremde in Eigenes verwandelt, d.h. durch Einverleibung und Identifizierung narzißtischen Zwecken zugeführt.

Eine Scheidung, die Trennung zwischen Fremdem und Eigenem soll aufgehoben werden. Dabei stört der Fremde, der als Fremder die Trennung markiert und aufrechterhält. Ein Verbund soll hergestellt werden, ein Wärmeverband, der jedoch immer schon den Tod als Verpflichtung in sich trägt. Von einer Gemeinschaft des Todes muß die Rede sein.

Es scheint, das alles nur Wert hat für uns, was uns irgendwie als Nahrung dient. Darüber hinaus ist uns alles fremd. In der Peter O. Chotjewitz Erzählung "Der Ghoul von der Via Del'Oca", der Straße des Auges, dem Ort also, wo etwas sichtbar werden kann, lutschen die untoten Bewohner der Friedhöfe "in mehreren Etagen übereinandergeschichtet … leise an ihren Leichentüchern". "Sie werden zu zweit einen Körper bilden, sie werden zu dritt einen Körper bilden, sie werden einen einzigen Körper beginnen, sie sind so viele, die hungrig sind."


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