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Mitschnitt vom 26.11.10

Autor: Mitschnitt und Fotos Antje Eske

26.11.2010. Konversation 7: Formen. Auseinandersetzen. Zusammensetzen.

Beteiligte: Kurd Alsleben, Julia Bonn, Antje Eske, Hans Fehn (Besucher), Mike Hentz, Michael Kress, Heidi Salaverría, Claudia Schmölders, Frank Wörler
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Wir fangen mit Jochen Engels Konversationsspiel an,
Es wird von Antje eingebracht und sie erklärt: Er hat für die Spielkarten Symbole aus der Mengenlehre verwendet: Dreiecke und Kreise verschiedener Größen und unterschiedlicher Farben, und das Ganze wird ohne Worte gespielt. Es können jeweils 2 Karten ausgetauscht werden, wobei man sich überlegt: ich möchte gerne alle Kreise nebeneinander stehen haben. Aha, der Vorgänger wählt jetzt so, was muss ich austauschen, um meine Version durchzubringen. Wir können das auch im Stehen spielen. Wollt ihr lieber stehen oder sitzen? Wir entscheiden uns, zu stehen und stellen uns alle im Kreis auf. Jeder hält sich eine Spielkarte vor die Brust und dann tauschen immer zwei die Plätze. Das spielen wir eine Weile. Mal sind alle Dreiecke vereint, mal die grünen und die gelben Karten in Reihenfolge. Dann fängt es an, dass wir die Spielregel erweitern. ... Nach einer Weile ist das Spiel zuende, weil alle den Eindruck haben, dass jetzt was anderes kommen könnte.

Wir gehen wieder zum Tisch zurück und überlegen, wie es weitergeht. Kurd: Claudia hat uns einen sehr schönen Brief geschrieben, darin heißt es: „Können bürgerliche oder auch prekäre soziale Gruppen politische Streitigkeiten lösen, ohne sich bei Dissenz die Freundschaft aufzukündigen. Es gehört ja zu den Grundregeln der alten K-Kultur (Konversations-Kultur), grade kein Sachthema oder kein politisches Thema aufzubringen, eben weil es leicht zu Streit ausartet.“ Mike: K-Gruppen! Das war Konflikt-Kultur. Alle lachen und Kurd liest weiter: „Aber die bürgerliche Welt hat die sachbezogene Gesprächskultur natürlich in den Vordergrund gestellt.“ Claudia schreibt dazu: „ja, darüber würde ich gerne mal mit Anderen reden.“ Mike: aber was interessiert dich? Suchst du jetzt Lösungen oder Verständnis? Claudia: na ja, wenn man den Begriff der Konversation so explizit verwendet wie hier, dann bezieht man sich auf eine sehr lange abendländische Tradition, über die ich ja ein Buch geschriebe habe, und die Antje weiter ausgearbeitet hat. Und in dieser Tradition ist Streit nicht vorgesehen. Sogar verboten. Die Konversation der höfischen und großbürgerlichen Salons sieht keinen Streit vor. Mike: ich weiß wohl, wieso das so ist. Claudia: das wissen wir alle, wieso das so ist. Mike: wieso denn? Claudia: meine Frage war, ob das Social Web 2 nicht genau dasselbe versucht wie die alteuropäische Konversation, nämlich einen harmonischen Kosmos der Kommunikation herzustellen, wo jeder sich so schön wie möglich präsentiert und so freundlich wie möglich. In Facebook meine ich jetzt speziell. Und da wollte ich wissen, was bei den jungen Leute von heute, die sich mit ihrer Schönheit, Freundlichkeit, Perfektionalität in Facabook so völlig ergießen, aus Dissenz wird. Kurd: uns geht es doch auch so. Wir sind ja freundlich zueinander und ich möchte es auch gerne. Jetzt ein Dissenz, na ja ... Mike: wieso nicht? Das ist eine Taktik, das ist ´ne Technik. Kurd: oh, oh. Komm! Mike: um Wissen zu entwickel, muss man Konflikte einbauen. Kurd: wollen wir Wissen entwickeln? Antje: aber in Konversation steckt doch ´konvers´. Mike: ich wollte das Wort ´Beute´ einbringen. Ich komme jetzt nach Karlsruhe und im Hinterkopf habe ich dann: was werde ich für ´ne Beute oder für ein Wissen mit nach Hause nehmen? Dieser Beutebegriff ist vielleicht nicht sehr schön. Aber auch Wissenserweiterung empfinde ich als Beute. Claudia: Das ist aber genau das Gegenteil dessen, was historisch der Fall ist. Also die Geschichte der Konversation verbietet das gradezu. Antje: also sozusagen eine Zielsetzung von vornherein. Claudia: es muss eine selbstlaufende, in sich selbst genügsame Vergnügung sein. Deshalb dürfen ja keine Sachthemen diskutiert werden. Mike: jeder Witz ist doch auch eine Beute.

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Claudia: (rechts unten) na ja gut, wenn man es so sieht.
Antje: wäre das denn in deinem Sinne eine Beute, wenn jetzt bei dieser Konversation, wo man nicht zielgerichtet rangeht, und vom Hundertsten ins Tausendste kommt, Sachen erfährt, die man vorher nie für möglich gehalten hätte. Wäre das eine Beute? Mike: ja, genau, das ist Wissenserweiterung. Claudia: aber dann ist jedes Gespräch Wissenserweiterung. Kurd und Antje: die ja nicht gerichtet kommt

Heidi: vielleicht noch zwei Begriffe, über die wir in der Bahn gesprochen haben. Eigentlich gar nicht direkt bezogen auf Konversationskunst, aber mich treiben grade zwei Themencluster um. Einerseits das Thema: Status und andererseits das Thema: Unschuld. Ich könnte jetzt für diese Diskussion da anknüpfen: Thema Beute - ich könnte sagen, es geht natürlich auch darum, Trophäen mitzunehmen oder man könnte sagen, es geht immer wesentlich um Anerkennung. Anerkennung kann natürlich auch über Status vollzogen werden. Also ich kaufe mir teure Kunstwerke oder ich bin eine tolle Künstlerin und habe einen Status und bekomme dadurch Anerkennung. Da haben wir vorhin ganz viel drüber diskutiert: meine Utopie oder mein Wunsch bei der Konversationskunst ist, dass man es schafft, an die Unschuld der Gefühle anzuknüpfen. Also das betrifft ästhetische Urteile, das betrifft Sympathien. Und ich glaube tatsächlich daran, von mir aus mit Kant oder egal wem, dass es so etwas gibt wie: ich finde etwas schön, ohne etwas Bestimmtes zu wollen. Claudia: also Unbeute. Heidi: ja! Und die Frage wäre, funktioniert das? Und in wieweit funktioniert das? Und Konversationskunst hängt für mich, wenn sie funktioniert, wesentlich damit zusammen. Mike: zwanglos empfinde ich das überhaupt nicht. Wenn ich in mein Gehirn sehe, was das vorselektiert von dem, was ich spreche, dann bin ich permanent unter Zwang. Und das entspannte Reden findet dann statt, wenn ich mich auf sicherem Terrain bewege, d.h. Sachen oder Diskussionen ausführe, die mich in keiner Form unter Stress setzen oder lächerlich machen oder in irgend einer Form unter Zwang stellen. Ich habe, z.B. für Moderationstraining ein Training gemacht, das ich ´Canozzi´ genannt habe. Canozzi war ein Typ vom ´Living Theater´ und der hatte das Prinzip: ´ich sage alles, was ich denke´. Es ist relativ schwer, zu dem Punkt zu kommen, dass man alles, was man denkt, auch sagt. Weil der Gedankenfluss immer wieder durch diese Zensur, diesen Zwang oder diese Selektion beschnitten wird. Das heißt, man hat immer parallel Gedanken und schiebe das dann weg. Also aus meinem Gedankenfluss schiebe ich das weg. Und das hat oft eine halbe Stunde gebraucht, bis die Leute das, was sie gedacht haben, auch sagen konnten. Und dann haben wir das so gemacht, dass alle das gleichzeitig tun, damit die Intimität so halb über den Lärm gewahrt wird. Da gibt´s eine politisch korrekte Wertigkeit, grade bei Facebook und ähnlichen Sachen. Und dann gibt es noch: ich kann jemanden nicht riechen. Das ist ganz klar definiert, wen man mag und wen man nicht mag. Man kann das aber nicht erklären. Heidi: darin liegt aber eine bestimmte Unschuld, finde ich. Das ist so, wie wenn ich sagen kann: ich finde etwas schön oder nicht schön. Das ist erstmal moralfrei. Ich gebe dir vollkommen recht, man muss irgendwie versuchen einen Raum zu schaffen, wo das möglich ist. Aber wenn man das einigermaßen fließen lassen kann, dann ist das ein Traum, dem ich gerne anhänge. Ich weiß nicht, ob sich das widersprechen muss mit dem Gedanken, dass ich vielleicht parallel auch noch fünf andere Gedanken habe. Mike: das ist für mich der freie Fluss. Alle diese Parallel-Gedanken, diese fünf, das wäre für mich der freie Fluss. Das, was ich im Kopf habe und rauslasse.

Michael: und was ist dann das Verfertigen der Gedanken beim Sprechen? Spricht das dem, was du sagst, entgegen. Mike: nee, das ist funktionell bedingt. Kommunikationstechnisch kompatibel zu sein oder instruktiv - das ist zielgerichtet. Claudia: grade nicht. Mike: doch, ich versuche eine Antwort auf dich oder auf ihn zu finden, und das ist zielgerichtet. Claudia: er (Michael) hat aber Kleist zitiert und Kleist hat gemeint, dass er am besten zu Gedanken kommt, wenn er vor einem Papier sitzt und schreibt und es kommt jemand rein und unterbricht ihn. Dann ist er ganz eifrig und will den Gedanken schnell zuende bringen und dann fällt ihm was ein. Das ist die historische Geschichte dieses Zitats. Kurd: also der Wunsch, alles sagen zu wollen, was ich denke, ist nicht mein Interesse. Claudia: das ist berühmt aus der Psychoanalyse. Mike: nee, das ist ne inspirative, kreative Technik. Beim automatischen Schreiben war das auch so, beim Freejazz funktioniert es genau so und Brainstorming auch. Claudia: aber Freejazz ist Musik. Mike: das sind gleiche Systeme für mich. Michael: aber das mit dem Freejazz würde ein Freejazzer anders sehen. Der würde das nicht nur auf der Ebene der Improvisation sehen, sondern da gibt´s auch Systematiken, da gibt´s Frage-Antwort-Spiele, da gibt´s ein dialogisches Moment, da gibt´s auch ein Hierarchie-Moment. Mike: wir können ja ein ganz einfaches Spiel machen. Ich fange etwas an und geb´s weiter an ihn und er spricht weiter und so weiter. Alle: ja. Stille Post. Mike: ja, aber laut sprechen. Claudia: aber dann hören wir es ja alle. Dann kann es sich ja nicht verändern. Mike: also ich meine jetzt vom Freejazz, von der Technik her kann ich demonstrieren, dass das in der freien Assoziation geht. Michael: ich habe ja nicht gesagt, dass es nicht funktioniert, sondern ich habe gesagt, Freejazz ist eine historische Musik-Richtung gewesen und da ging es nicht nur um Improvisation. Mike: ich sage es vielleicht anders für mich: wenn man parallel fünf Gedanken hat, kann man sagen, man hat parallel auch Gefühle und Empfindungen dafür und die Beschreibung eines Gefühls, das in einer Sekunde klar ist, Sympathie, Empathie, die verbale Beschreibung des Gefühls passiert in 10 Minuten, aber emotinal-logisch begreift man das sofort. Und das ist Teil vom Free Jazz. Kurd: ok. Wie etwas funktioniert, das ist nicht so mein Interesse. Ich habe das Bedürfnis. Ich habe nicht den Bedarf zu wissen, warum das so ist. Ich habe die Not, mit dem Leben überhaupt auszukommen, damit fertig zu werden wie das nun funktioniert.

Antje: können wir das nicht mal praktisch machen, was Mike eben vorgeschlagen hat? Das wäre doch ein schönes Konversationsspiel. Man muss anschließen an das, was der Vorherige gesagt hat und dann weiterentwickeln.
Auszug aus der Narration: ... Mike: also die kleine Julia war natürlich dann, als sie die Platte gewechselt hatte, eigentlich sehr glücklich. Sie war eine der wenigen, die mit diesem alten Mann sehr gut klar kam, weil der wenigstens Zeit für sie hatte und ihr das nie verboten hatte. Er war natürlich nicht dazu geeignet, ihr zu erklären, wie jetzt die Stimmen in diese Platten reinkamen. Also im Superkmarkt konnte man hingehen und sich seine eigenen Platten abholen über das, was man gesprochen hatte und das zum Geburtstag ... Kurd: vorspielen, was mein Bruder auch gemacht hat. Der hat die Mansarde oben mit Fäden so eingerichtet dass, als meine Großmutter zu Besuch kam, die Tür aufging und die Musik anfing zu spielen. Und ... Michael: ja, die Musik spielte die ganze Nacht und weil ich nicht schlafen konnte, trank ich noch ein Bier. Das war aber schlecht... Frank: als ich mich übergeben hatte, ging es mir wesentlich besser. Ich habe noch einen Korn getrunken und dann war alles wieder gut. ... Julia: aber in der Nacht hatte ich echt die seltsamsten Träume. Eine ganze Reise habe ich angetreten und zwar flog ich durch ein Tal, und landete am Ende in einem Gebüsch, in dem ein Marder zu mir sprach und der sagte: Waldemar, Waldemar und ... Heidi: dann fiel mir ein, dass ich ja vor einigen Jahren in Chile gewesen war, wo es zwei Strandorte gibt. Der eine heißt Valparaiso und der andere heißt Valledemare. Und das war wahrscheinlich ein Zeichen dafür, dass ... Antje: dass da früher mal Waldemar gesessen hatte. Ich habe ihn auch wirklich da getroffen. Waldemar hat damals zu mir gesagt: du musst sehen, dass du hier wegkommst. Du musst durch die Sahara. Du musst sehen, dass du in die Wüste kommst und dass du die mauretanische Piste längs fährst Dann bist du auch schon in Afrika und da ist es wunderbar warm. Dann hat er sich aber plötzlich verschluckt und ... Claudia: dann wusste er erstmal nicht mehr weiter. Aber man weiss ja, dass im Zug und auf Reisen die allerbesten Konversationen stattfinden, weil man dann völlig unvoreingenommen ist und man die Leute nicht kennt. Man kann reden was man will, man sieht sie nie wieder. Man kann keinen Statusverlust haben, weil ja niemand einen kennt und weiss, wo man angefangen hat und wie tief man schon gesunken ... Mike: und so ging diese Platte zuende und Julia sagte: Großvater, was soll ich denn jetzt für ´ne Platte auflegen? ... Kurd: Großvater sagte: nimm die von Waldemar. ... Michael: Letzte Woche erschienen Geister in meinen Gedanken. Es ging um zerbrochene Platten, zerbrochene Bierflaschen und den Wunsch, endlich schlafen zu können. ...

Das geht noch eine Weile weiter, dann schlägt Mike vor, das zu unterbrechen. Mike: ich wollte nur diesen Ansatz zum Free Jazz deutlich machen. Ich glaube, klar geworden ist, wie man da assoziiert oder einsteigt: Wir hatten ja ein paar Solothemen, wo das Saxophon immer ´Waldemar´ gespielt hat. Dann hatten wir diese Trommelpausen und die Geigen, die verhaltenen und zwischendurch wieder den Elektrobass. Mike zeigt dabei jedes Mal auf die entsprechenden Solisten. Mike: wenn man jetzt dieses Canozzi-Training als Kreativitätspool dazu nimmt, hat man noch eine ganz andere Assoziation. Weil man da freier rangeht.
Wie oft haben wir jetzt noch ähh, ohh, öhh, em gemacht, als ein Zeichen der Reflexion. Man kann sich nicht entscheiden und dann kommt man ins Stocken. Interessant wird es, wenn man als kreatives Potential seinen Gehirnfluss nimmt. Weil da ganz andere Ideen reinkommen - wie beim automatischen Schreiben. Antje: ich habe das noch ein bisschen anders erlebt. Ich habe es so erlebt, dass wir erst ein bisschen gequält gesprochen haben und dass es nachher ... Mike: richtig anfing zu fließen, ja, ja. Na, ich meine, man kann sich darauf sensibilisieren.

Heidi: ich möchte vielleicht noch zwei, drei andere Begriffe ins Spiel bringen. Und zwar habe ich den Eindruck, dass hier unterschiedliche Ästhetikkonzeptionen kursieren und das ist ja auch schön und gut so. Eine von dir, Mike, nenne ich mal anarchisch, surrealistisch, psychoanalytisch orientiert, um das irgendwie zu labeln. Von Claudia, kommt jetzt sozusagen mehr die traditionelle: Konversieren als Unterhaltungskunst, wo es sehr stark um Sprache geht. Und jetzt nochmal zur Frage ´Unschuld´ oder ´Gewalt von Beute´ ... ich sage einfach noch mal ein paar andere Begriffe dazu: man kann versuchen, Kunst oder auch das Urteilen über Kunst eher zu vergleichen mit einem Rätsel. Also wenn ich mir vorstelle, hier wäre jetzt in der Mitte ein Gebilde, was wir alle noch nicht so richtig orten oder deuten können. Gefällt es uns oder gefällt es uns nicht. Dann befinden wir uns an der Schnittstelle von Sprachlichem und Nichtsprachlichem. Ich denke jetzt natürlich an Kant und Pragmatismus. Klassischer Weise vor einem Kunstwerk oder vor einem Jazz-Improvisationsstück denkt man: gefällt mir das jetzt oder nicht. Ich bin auf einer Party. Finde ich die jetzt wirklich gut oder nicht? Es gibt ja nicht nur langweilig oder gleich gut finden, sondern es gibt ja auch: ich weiß noch nicht so richtig. Wie ist das mit dieser Runde? Fühle ich mich hier jetzt eigentlich wohl? Oder nicht? Ich weiß es nicht. Und wenn man sich dann nicht Gewalt antut und denkt: ich muss es aber jetzt gleich wissen, sondern wenn man dann denkt: lass mal, dann werden die Urteilskriterien, die normalerweise feststehen, vorübergehend suspendiert und man denkt: hmm, ich weiß es auch nicht so genau. Und dann fängt da was an zu schwingen. Kant würde sagen: Einbildungskraft und Verstand. Ist ja auch egal, was da schwingt. Ich glaube, dass die Konversationskunst, so wie ihr sie versteht, eigentlich ein gemeinsames Herstellen von einem Gemeinsinn ist, in dem es aber nicht darum geht, dass alles raus muss, sondern dass man vielleicht wirklich sagt: hmm, was ist das denn jetzt eigentlich? Also mehr so, wie man einem Rätsel gegenübersteht und zusammen rät. Das ist eine andere Haltung. Und das kann man anhand von Spielen machen, von Assoziationsspielen. Mike: also ich finde hier ist Konversation und Kunst vermischt worden. Das ist für mich jetzt nicht gleich identisch. Claudia: so ist es ja angekündigt: Konversationskunst.

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Mike:
(zweiter von links) ist die Wahrnehmung der Menschen nicht auch Konversation??
Antje: aber deine einzelne Wahrnehmung? Ich finde, man braucht doch auch immer Austausch mit Anderen. Mike: aber was sind denn die ganzen Leute, die sich ans Meer legen oder einen Sonnenuntergang konservieren/konversieren? Claudia: da müsst ihr einfach den historischen Terminus aufgeben. Konversation ist ein derart besetzter Kulturbegriff. Antje: aber der geht ja weiter, Der geht über die Salonkultur raus bis zum Dadaismus, Surrealismus und da hört das dann auf mit dem ´nur über das Wort´. Da läuft die Konversation auch über visuelle Sachen. Claudia: haben die das nicht anders genannt? Die Franzosen sagen natürlich immer: Conversation. Aber in Deutschland habe ich niemals im Dadaismus, z.B. bei Hannah Höch, das Wort gefunden. Michael: entschuldige bitte, aber da möchte ich intervenieren. Ich habe ein Problem, wenn wir uns sprachlich limitieren oder diskutieren welche Bedeutung das Wort hat, was das richtige ist. Das finde ich relativ unwichtig als Künstler. Weil es mir um eine Praxis geht. Es geht mir nicht um die Philosophie an sich, sondern um das Philosophieren, also das Benutzen. Und dann können wir darüber streiten, was das bedeutet. Claudia: die Geschichte von Wörtern liefert Erkenntnis. Kurd: o.k., aber im Lateinischen heißt es ja ´Umgang´. Konversare ist Umgang. Claudia: ja, aber nur im Hintergrund. Das ist die Folie, aber die Traktate, die sich auf den menschlichen Verkehr beziehen, gehen von einer artikulativen, sprachlichen Umgangsform aus. Die Kunst löst das alles auf in ätzender Säure. Ich muss deshalb ganz ruhig sein, weil ich frappiert bin von dieser Zersetzung. Antje: ich finde das aber nicht ganz richtig. Die Habitués haben auch zusammen gegessen, das ist doch nicht alles nur über Worte gelaufen. Die haben zusammen getanzt, das ist doch auch ein Austausch. Claudia: das war ja mein Brief, wo ich gesagt habe: ist Streit möglich? Also wenn du beim Essen sitzt und machst Gebärden, das ist nicht das Thema von Auseinandersetzung. Das Gespräch alleine ist die Möglichkeit des Dissenses. Antje: wenn du zusammen isst, dann lernst du dich doch auf eine andere Weise kennen, als wenn du dich mit Worten auseinandersetzt. Und das hat dann auch wieder Einfluss auf deine wörtliche Auseinandersetzung. Mike: im Neonlicht oder im Sonnenlicht ist doch auch echt ein Unterschied.

Michael: Ich verfolge jetzt Kurds Arbeit schon ein bisschen und was ich für mich verstehe, und was mich daran interessiert ist, rauszukriegen wie sich das Verhältnis von dem, der Kunst macht und dem der Kunst rezipiert, wie sich das zuerst gegenübersteht und wie sich das irgendwann mal miteinander vereint. Also, wie es zur Schnittstelle wird. Das interessiert mich und dazu ist Sprache notwendig und auch immer wieder in der Diskussion, aber ... nicht unbedingt, wird von Claudia und Mike eingeworfen. Michael: aber für mich in meinem Denken schon und wenn ich das Wort Konversationskunst höre, dann denke ich diesen ganzen Bedeutungshof, den du, Claudia, dabei hast, gar nicht mit ... Claudia lachend: ich hab´s verstanden, ich sage kein Wort mehr. Michael: sondern mich interessiert das höchstens als Quelle, als Verweis. Kurd: aber wichtig ist auch, wo es herkommt. Michael: das muss ja nicht unwichtig sein, aber es muss nicht eine Ausschließlichkeit kriegen. Claudia: die Lehren der Konversation umfassen ein ziemlich großes Regelwerk. Und die Gesellschaft hat über Jahrhunderte überlegt, wie man so eine Kommunikation harmonisch macht, ohne Streit und doch ergiebig, witzig , menschenfreundlich, lustig, usw. Wie macht man das. Da gibt es dicke Bücher, mit einem riesigen Regelwerk. Jetzt sagt ihr aber, in der Kunst ist das alles nicht. Und da gebe ich einfach zu bedenken: der Umgang für einen Zuschauer mit einem Kunstwerk hat natürlich kein Regelwerk oder nicht mehr in der heutigen Kunstszene oder hat es vielleicht nie gehabt, außer in der religiösen Kunst. Da muss ich jetzt von euch belehrt werden. Mike: aber ich glaube, es gibt da Parallelen. Antje: Werke interessieren mich jetzt in diesem Zusammenhang nicht. Claudia: er sagt ja, es geht um eine Begegnung mit einem Kunstwerk und dass da eine Begegnung, eine Konversation usw. stattfindet. Michael: das ist das konventionelle Modell. Claudia: aber ich meine, zwischen dem Kunstwerk und dem Betrachter kann natürlich auch Streit entstehen, wenn sich nämlich der Betrachter sagt: ich finde es blöd. Mike: in der Kunst reduziere ich das auf einen Punkt. Die Kunst hat ´ne Magie. Dass ich aus totem Material lebendige Gefühle schaffe. Ich stehe vor einem Bild, was eigentlich nur Dreck und Pigment ist und fange an zu heulen. Man kann aus totem Material was Lebendiges oder was Emotionelles beim Menschen schaffen, in diesem Gefühl das man damit auslöst. Und bei der Sprache gibt es das ja auch: das ist nur Geschwätz oder das ist tief oder das hat mich getroffen. Wobei man natürlich die Realität der Sprache, oder was erzählt der mir, z.B. im Web, mit einbezieht. Mike veranschaulicht dazu ein Beispiel aus eigener Erfahrung: er diskutiert grade mit jemandem, der eine Fake-Identity im Netz hat und weist darauf hin, dass die ´Lüge´ für viele Leute ein Motor ist.

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Heidi: (vorne links) nochmal zur Sprache.
Du Claudia, hast von Regelwerk gesprochen, Regelwerke, die bezogen auf die Konversationskunst bestanden und die ja auch lange, in Bezug auf die Rezeption von Kunst bestanden. Wenn man sich jetzt das Historische nochmal anschaut, dann gab es irgendwann einen Bruch. Irgendwann kam der Begriff der Ästhetik ins Spiel und damit auch der Begriff des Subjekts und der Begriff der Freiheit ... ich finde interessant, dass erst ab dem Zeitpunkt die Frage diskutiert wurde, was eigentlich guter Geschmack und ein freies ästhetisches Urteil sein kann. Vorher gab es Regelwerke: schöne Kunst ist das, das, das ... Und heute nehmen wir das als selbstverständlich gegeben hin, - mit der Romantik, usw. - dass man sagt: finde ich schön - finde ich nicht schön. Hat Kant sehr schön gezeigt und ist immer noch aktuell, was dabei passiert, wenn man sich fragt, ob etwas schön ist oder nicht. Dann kam der Begriff des Gemeinsinns wieder ins Spiel, den es auch schon seit jeher gibt, und ich verstehe das, was ihr (Kurd und Antje) macht so, dass man eigentlich versucht, dieses ästhetische Urteil, was normalerweise einen Gemeinsinn voraussetzt, mit der Kunstproduktion zu koppeln. Also mit anderen Worten: der Gemeinsinn des freien Urteilens wird gelebt und dadurch entsteht etwas Ästhetisches. Das ist dann nicht mehr das Regelwerk und es ist aber auch nicht mehr der Einzelne, der sagt: finde ich schön oder finde ich nicht schön, sondern das findet dann gemeinsam statt. Und das findet auf einer Ebene statt, die sich an der Schwelle des Sprachlichen bewegt. Warum? Weil Sprache immer auch Regelwerk bedeutet. Weil Sprache immer auch normiert und festlegt. Und deswegen muss man eben auch gemeinsam zwanglos rumspinnen. So wie wir vorhin.

Claudia: aber sieh mal, das Regelwerk von dem ich rede, schlägt z.B. vor, dass alle Leute gleichmäßig am Gespräch beteiligt sein sollen. Es schlägt vor, dass man großen Takt walten lassen muss, wenn man weiß, irgendwas Furchtbares ist passiert. Es sieht vor, dass man anständig angezogen ist. Es sieht vor, dass man unterm Tisch nicht jemandem ans Schienenbein tritt. Das sind ja nichtsprachliche Sachen. Mike: Etikette ist das. Claudia: ja das ist Etikette und das ist in der Konversationskunst, in dieser alten, im Regelwerk enthalten. Nicht sprachlich, sondern umgangstechnisch. Also es soll jeder Teilnehmer geschützt werden. Kant hat doch immer diese wunderbaren Mittagessen gegeben, wo die Leute kamen. Er war berühmter Causeur und hat auch den schönen Satz geschrieben: „wer etwas an meinem Tisch erfährt, muss es auch hier lassen.“ Also die Bitte um Diskretion. Das meine ich mit Regelwerk. Es ist ein Humanregelwerk, keine Sprachzieselierung. Es geht darum, dass die Menschen aufblühen, sich wohlfühlen, sich geschützt fühlen und sich entfalten dürfen. Ich weiß nicht, wie man das nennt, ob das eine Kunst als solche ist? Eine Menschenkunst, eine Humankunst? Antje: Soziale Kunst. Claudia: eine soziale Plastik. Oder wie würde der Beuys das nennen? Kurd: wir können doch sagen: welche Regeln gefallen uns davon und welche nicht. Was brauchen wir, um zu leben. Claudia: aber Schonung und Schutz brauchen wir alle! Antje: und Anerkennung. Kurd: auseinandersetzen tun wir uns ja sowieso immer alle. Wir müssen uns doch auch mal zusammensetzen können. Ist jetzt das Regelwerk dafür geeignet? Es scheint mir so, dass das zum Teil ganz gute Regeln gewesen sind. Claudia: wisst ihr, das hängt natürlich von den Teilnehmern ab und von der Situation. Ein Salon 1740 ist was anderes als ein Salon von 1840, wo die Hälfte der Geselligkeiten mit Kartenspiel vergingen - entweder Schach- oder Kartenspiel. Das sind ja unter der Hand richtig aggressive Ausagierungen. Besonderns Kartenspiel verbietet ja Reden.

Frank: ich habe eine Frage zu dem Text von dir, den Kurd am Anfang vorgelesen hat: haben da tatsächlich Hartz4-Empfänger dringestanden? Julia: nee, prekäre soziale Gruppen. Heidi: sonst lies doch nochmal den Satz. Frank: “Können bürgerliche oder auch prekäre soziale Gruppen politische Streitigkeiten lösen ohne sich bei Dissens die Freundschaft aufzukündigen?“ Ist das ein ausschließliches ´oder´? Oder wie liest du das. Claudia: ob das prekäre von mir ist? Ich hab eigentlich an Facebook gedacht. Mein Neffe ist ein wunderbares Beispiel für die Menschen, die sich in Facebook immerfort von der schönsten Seite zeigen, schönste Fotos von sich und ihren Kindern, ihren Ferien, luxoriöse Ferienorte immerfort angeben. Aber die Anderen geben auch alle immerfort an. Jeder gibt immerfort an. Und da habe ich gedacht, wenn die dann immer ´Freunde´ heißen und in Wahrheit sind es doch Bewunderer, die man sucht. Statusaustausch, ganz und gar. Und dann habe ich überlegt, ob diese Generation Facebook untereinander noch streiten kann. Wenn sie sich so anlügen und sich immer so wahnsinnig als schön darstellen. Mike: nee, die lügen sich nicht an, das ist das Regelwerk der Höflichkeit. Das ist eine moderne Höflichkeit und das ist eine Statuspräsentation, die vollkommen politisch korrekt ist. Da darf man eigentlich gar nicht sagen, was man denkt, sondern man sagt was erwartet wird. Claudia: das meine ich. Antje: und was ich dabei eindrucksvoll finde ist, dass man das immer so nebenbei macht. Man macht eigentlich ganz was anderes und tippt mal schnell wieder was rein. Mike: die machen das nicht nebenbei. Drei Stunden am Tag ist Normalregelwerk. Antje: wir waren in Dresden, da haben uns die Studenten von der Informatik erzählt, dass sie Twittern, Facebook, usw. immer nebenbei machen. Eigentlich was ganz anderes tun, dann schnell mal wieder was reintippen und wenn man das nicht macht, ist man ´tot´. Dann ist man out. Man muss immer irgendwie drin sein. Mike: man muss antworten. Antje: ja, man muss antworten, aber man macht es irgendwie nebenbei. Heidi: ich mach´s auch nebenbei. Also ich mach´s nicht 3 Stunden am Tag - auch schon manchmal. Claudia fragt durch: macht ihr das alle? Heidi macht Facebook, Mike macht Skypen als Multitasking, parallel zur Arbeit. Antje findet Skypen auch schön.

Michael: heute wird das im Grunde vielleicht nachempfunden, was viele von uns damals, in den 80ern phantasiert haben. Also ich wollte mit Stefan Beck immer so einen offenen Austausch am Computer machen und wir haben uns vorgestellt, dass diese 2 Computer miteinander einer werden. Mike: aber das ist eine Illusion, weil es wirklich plätschert. Und so wie die Konversationen traditionell plätschern sollen, ist Facebook nur Plätschern. Michael: du gehst viel zu stark von dem Jetzt-Phänomen aus. Mich interessiert als Künstler die Möglichkeit einer Neuformulierung. Mike: Launchmusik, - Muzak. Michael: Es kann auch sehr intensiv sein. Du könntest theoretisch mit Facebook, also mit diesem Tool oder mit E-mails, wo 5 Leute oder 10 drin sind - um diese Größe von Gruppe zu definieren - einfach hin- und herschieben und könntest es auf einer sehr flachen Ebene machen. Also meinetwegen nur anekdotisch oder nur witzig, humorvoll. Du könntest es aber auch auf einer sehr hohen Problemhöhe machen.
Mike: das haben wir 1995 gemacht. Das war unglaublich anstrengend. Das war damals auf ´SeeYouSeeMe´. Damals haben wir in einer Garage in Hamburg wirklich 1 1/2 Jahre Chat, mit Bild und Schreiben, gemacht. Multilog nenne ich das, wenn mehrere Leute zusammen sprechen: Monolog, Dialog, Multilog. Dann bleibt das beim Plätschern, bis man was Kreatives oder was Rituelles oder auch was wir hier machen, probiert. Du musst mit dem Holzhammer rein, bis da was kommt, es sei denn du trainierst es mit Freunden und führst das als Gruppe aus und ziehst die Leute mit. Von sich aus plätschert das. Wir haben auch 1995 diese Radiogeschichten gemacht. Insofern interessant, als wir da 10 Leute auf einem Lifestream zusammengeschlossen haben. Und wir haben so ein Prinzip gehabt, das sich überlappt, d.h. jemand schickt ´ne Musik rein, ich aus Frankfurt damals, die anderen aus Riga, Helsinki, Graz usw. Dann war aber das Delay, bis man das gehört hat was man real gespielt hat, bis zu 30 Sec. Das heißt, es war keine Realtime-Rhythmik und es war auch kein Dialogisieren möglich, sondern es war nur ein poetisches Überlagern. Das haben wir aber 6 Monate jeden Freitag gemacht. Das waren Leute, die halt ein Agreement hatten: wir haben eine Reihenfolge gemacht, die die Leute reingefädelt hat und dann einen Loop: einer macht drei Minuten und der Nächste schließt an. So hatte man einen Stream, wo man alles gehört hat. Anonyme Leute im Netz finden und mit denen Poesie oder Musik machen, habe ich äußerst selten gemacht oder nur, wenn du da heftig moderierst: z.B. jetzt singt alle mal ... Claudia: aber warum will man denn das überhaupt? Mit völlig unbekannten Leuten, die keine Lust haben. Mike: die Anonymität. Im Sexbereich läuft das. Du hast die 13, 14jährigen, die sich als 20jährige ausgeben und flirten, was das Zeug hält.

Kurd: ich meine, jetzt ist doch die Frage: das klingt ja alles sehr schön, wie das damals gedacht war. Claudia: und wie es in Facebook heute ist, klingt auch schön, Kurd: aber schön ist ja nichts Schlechtes. Das hat doch möglicherweise auch was sehr Vorteilhaftes für die Sozietät. Wir können doch fragen, bis zu welchem Grad. Natürlich muss man sich auch streiten, weil man das ja in sich hat. Claudia: ja, man muss es aber soziologisch ein bisschen schärfer trennen. Du kannst sagen, in einer kleinen Gesellschaft, wo die Leute sich gut kennen, da kann man wunderbar Konversation machen. Man weiß wo die Empfindlichkeiten sind, man kann etwas Nettes sagen. In der Anonymität ist aber alles ganz anders. Es ist sehr viel schwieriger. Heidi: vielleicht gibt es noch einen Unterschied, Ich finde da den Begriff des Offiziösen ganz schön, den Claudia vor 15 Jahren aufgebracht hat. Ich finde es interessant zu sagen, dass es einen Unterschied zwischen der anonymen Masse und der Gruppe von Menschen gibt, die sich kennt und z.B. auf die Empfindlichkeiten jeweils achtet. Es gibt aber auch so etwas, wie z.B. diese Gruppe hier, wo sich nicht alle kennen und wo man jetzt zusammensitzt. Und da möchte ich nochmal zu dem Schönen kommen, zu dem: ´wie wäre es denn schön?´Im Unterschied z.B. zu fachwissenschaftlichen Tagungen, wo es scheinbar um Objektivität und tatsächlich aber um Statussymbole und um Rechthaben geht. Ich möchte auch nochmal etwas zu dieser Frage des Disputs und des Streits sagen. Der Streit hat ja damit zu tun, dass man glaubt, die Kriterien seien jeweils festgelegt und dann streitet man darüber, wer Recht hat. Hier sind meine Kriterien, da sind deine Kriterien. Was aber die Kunstproduktion, sowie die Kunstrezeption gemeinsam haben, ist ein vorübergehendes Suspendieren der Kriterien. Man bewegt sich in einem offenen Raum, - das hat auch was zu tun mit unbewussten Prozessen - wo man erstmal noch nicht so genau weiß. Und ich glaube, das ist die Qualität von Konversationskunst, zu gucken, was passiert denn eigentlich. Und dann wird was erzeugt. Hinterher kann man darüber streiten, ist es gut, ist es schlecht. Wer hat recht. Aber das ist erst die zweite Frage. Der erste Schritt wäre wirklich, das zu tun, oder zu betreiben oder zu genießen. Von daher würde ich es gut finden, wenn wir demnächst ´ne Pause und dann nochmal ein Spiel machen, dass man was zusammen macht. Denn da passieren ja dann die meisten Sachen.

Antje: ich wollte zu dir, Michael, noch was sagen, nämlich was gegen deine Spieleinlassung einbringen. Wenn man zusammenkommt in einer offiziösen Runde, dann bringt man von außen ja was mit. Ich finde es deshalb unheimlich wichtig, Konversationsspiele zu machen, weil man genau das dann hinter sich lassen kann. Du kommst dadurch auf eine andere Assoziationsebene und wirst ein bisschen frei von dem, was wir Commonsense nennen und gehst dann ganz anders auf die Anderen zu. Das ist die eine Sache und dann finde ich noch diese ´Steigrohre des Unbewussten´ wichtig, also das Wecken des poetischen Potentials. Das passiert ja auch durch Spiele. Vorhin war da schon so ein Ansatz, als wir immer weiter gesprochen haben und es immer poetischer wurde. - Stumme Zustimmung von den anderen Beteiligten. - Antje: Ja, wie ist das jetzt mit der Pause, sollen wir mal einen Kaffee trinken gehen. Mike: ich finde von der Überhaltung sollten wir zur Unterhaltung unseres Körpers gehen. Und so machen wir jetzt eine kleine Pause.

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Nach der Pause bringt Heidi ein Spiel ein,
das sie in ´philosophisches Passivity´ umbenannt hat, und bei dem es darum geht, dass Andere Begriffe erraten sollen und man selber versucht, diese darzustellen. Entweder durch Pantomime, durch Zeichnen oder durch Umschreibung mit Worten. Man spielt das normalerweise in verschiedenen Teams. Heidi: meine Idee wäre, wir machen einfach mal halbe-halbe mit unserer Gruppe. Hier gibt´s diese Karten und jedeR schreibt einen Begriff auf, der ihr oder ihm zu Konversationskunst einfällt. Das möge jetzt etwas sein, was nicht so abwegig ist. Onthologie wäre vielleicht nicht so angemessen. Die eine Gruppe schreibt Begriffe auf, die andere Gruppe schreibt Begriffe auf und dann tauschen wir. Jeweils eine Person stellt den Begriff vor. Gewonnen hat die Gruppe, die als erstes auf dem Spielbrett am Ziel ist. Mike: und dann warten wir, bis du die nächsten Instruktionen gibst. Frank: er bestimmt, dass du bestimmst und jetzt musst du bestimmen, wer bestimmen soll. Und dann bestimmt man so durch, Mike: bis man verstimmt ist. Frank: bis keiner mehr kann. Mike: und dann stimmen wir an. Antje: Dann sind wir eingestimmt. Mike: und dann wird abgestimmt. Die beschriebenen Karten liegen verdeckt auf einem Haufen. Heidi fängt an. Sie muss ihrer Gruppe den Begriff vermitteln. Dazu liegt ein Spielbrett aus, auf dem vorgegeben ist, ob der Begriff gezeichnet, durch Pantomime dargestellt oder mit Worten umschrieben werden soll. Heidi muss zeichnen und ihre Gruppe, muß raten, was sie zeichnet. Die Darstellung und das Raten dauern jeweils nur eine Minute. Wir stoppen die Zeit: Sensus Communis, Felix aetheticus, Streit, Dissens, Streitgespräch, Streitkultur, Disput, Auseinandersetzung, Austausch, Gesprächsrunde, Argumentieren, anschreien, Anschuldigung, verbaler Streit, Streiten.

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Streiten ist es! Juhu!
Die Gruppe hat diese Runde gewonnen und darf auf dem Spielbrett pro geratener Karte vier Schritte weitergehen. Mit dieser Bewegung verändert sich sukzessive auch die Darstellungsart. Danach ist die zweite Gruppe dran. Wir spielen eine Weile und nach kurzer Zeit ertönt aus dem Lautsprecher die Nachricht, dass das ZKM in 15 Min. schließt. Morgen werden wir weiter spielen.

Mike macht schnell noch den Vorschlag, dass jeder von uns ein kurzes Statement über das, an dem er gerne weitermachen möchte, schreibt. Jeder einen Satz: Kurd: ich würde gerne wissen, warum Streitkultur zu fördern sei. Michael: ich würde gerne mehr dazu verstehen, wo mein Ich aufhört, wenn ich mit Anderen Dinge erfinde, also wenn ich anfange mit Anderen zu arbeiten, zu reden, zu konversieren, zu dialogisieren. Wo das Künstleriache anfängt und wo es aufhört. Frank: wo das jetzt alles ein bisschen mehr als ein Satz war, kann ich ja auch noch überlegen beim Sprechen. Am Anfang ist gesagt worden, dass es schwierig ist, alles zu sagen, was man denkt. Da würde ich fragen, ist es nicht schwierig, alles zu denken, was man sagt. Julia: ich würde gerne morgen mehr reinkommen, als ich heute reingekommen bin. Heidi: ich würde gerne morgen mehr Formen des Konversationsspiels ausprobieren und dabei mehr darüber herausfinden, ob es so etwas wie eine Unschuld im Konversieren gibt, oder nicht. Antje: also mir hat heute dieser Wechsel zwischen verbaler und spielerischer Konversation gut gefallen und da wäre ich auch dabei, das morgen fortzuführen, mehr spielerisch, aber immer noch im Wechsel. Hans: ich bin ja durch Zufall hier jetzt in die Runde gekommen und muss erstmal sehen - ich hab ja nur einen Ausschnitt gesehen - was wohl hier in diesen Gesprächen alles diskutiert wird. Ich hab´ noch keine Vorstellung. Claudia: ich hätte morgen eine ganz konkrete Frage. Ich habe in meinem Umgang eine ganze Reihe älterer Frauen, die immer häufiger Dinge vergessen, Dinge falsch wiedergeben und ich bin ratlos, wie ich damit umgehen soll in der Konversation. Mike: ich würde gerne für Perioden oder Sequenzen morgen mal einen Stil machen, z.B. würde ich gerne anregen, dass wir uns ´ne Stunde lang Titel geben. Es würde mich freuen, wenn wir uns morgen während dieser Stunde siezen und höflich dialogisieren.

Die Konversation ist zuende und wir gehen alle zusammen zum Italiener essen.

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