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mitlesen: Kunst und Soziieren, Anerkennung II



Autor: Antje Eske, Heidi Salaverria, Kurd Alsleben
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Liebe Heidi, liebe Antje,
kleiner Nachtrag von
Kurd, 14. Sept. 2006,
indem es mich immerzu beschäftigte, habe ich versucht, einen der Netzkunst helfenden Blick zu formulieren:

Mit dem ästhetischen Sensus Communis werden unter Menschen solche Beziehungen wahrgenommen, wie sie sich mit den sozial-ästhetischen Wörtern` beschreiben lassen.

( `Vorwörter des NetzkunstWörterBuchs)

Kurd 19. Sept. 2006. Mit dem Wort Konversation (visavis oder im Internet) denken wir an einen ästhetischen Sensus communis, einen Sinn, der auf der Ebene des Ästhetischen Beziehungen unter Menschen wahrnimmt, wahrgibt und gestaltet.

¶ Kunst, Liebe Freude Eierkuchen, Kameradschaft
==:: %``-_°° /| =


Liebe Heidi, (Kurd)

bevor Du heute Abend zu uns kommst, um über den Fortgang gegenwärtiger kurzzeitversetzter Konversation zu reden, noch ein paar Gedanken:
Dein schönes Wort ‘Bonusanerkennung‘ finde ich sehr gut und es nennt i.m.S. die notwendige Artistik in der Netz- oder Konversationskunst.
Ein gewisser Grad von Passivität und Interesselosigkeit ist schon drin.

Dein Wort ‘Ausschwärmen‘, komplementär zu Kritik, ist schon geliebt.
Ich habe Lust zu sagen, Sinn der Kunst ist nicht Erkenntnis, sondern - im Medium ästhetischen Sensus communis - Anerkennung; solche nicht zuletzt als Ermöglichen von Diskursen.

Liebe Antje, lieber Kurd,
ein Gedanke, der mich in diesem Zusammenhang beschäftigt, ist die Frage nach der Erneuerung. Er schwingt für mich ja schon bei Eurer Idee des Konversierens mit, wenn Konversieren auch als Konvertieren verstanden wird. Wie kann ich einen neuen und fremden Gedanken erkennen und damit anerkennen? Vielleicht spielt in diesem Zusammenhang auch der Begriff der Passivität eine Rolle, Kurd. Natürlich kann es nicht bei der bloßen Passivität bleiben, wenn etwas Neues Einzug halten soll, aber doch eine Bereitschaft zur Überraschung, etwas zu erfahren, das vorher auf meiner Festplatte noch nicht abgespeichert war, um es so zu sagen. Oft entsteht Streit in Gesprächen, weil man denkt: Jaja, schon klar, aber... Wenn ich aber in solchen Situationen meinem Gegenüber eine Bonusanerkennung gebe und die Bereitschaft entwickle, meine Perspektive zu verschieben, um vielleicht etwas zu verstehen, was mir vorher entgangen war, also dem anderen darin vertraue, dass sie oder er mir wirklich etwas sagen will, dann kann sich die Perspektive verschieben und ich bemerke möglicherweise etwas Neues, das ich vorher nicht hören konnte. Weil ich es nicht wollte oder weil meine Ohren nicht darauf eingestellt waren. Dazu muss ich aber meine Bereitschaft zur Überraschung kultivieren. Das ist auch etwas anderes als Streit, weil Streit oft eine Sackgasse darstellt. Aber zu überlegen, warum die/der andere an diesem Punkt immer wieder insistiert, obwohl es doch schon alles klar ist, führt zu der Möglichkeit, vielleicht eine neue Abzweigung zu nehmen. Wittgenstein nennt das Aspekte-Sehen: Sein Beispiel ist eine Zeichnung, die je nach Perspektive nach Hase oder Ente aussieht.


Wie können wir uns verstehen, wenn Du nur die Ente siehst und ich nur den Hasen? Oder vielleicht gefällt Dir etwas an der Zeichnung nicht, aber Du kannst noch nicht sagen, was es ist? Oft genug ist das die Situation in Auseinandersetzungen. Etwas Neues zu entdecken, kann sehr befriedigend sein, wenn ich bspw. eine Musik, ein Buch oder einen Film höre oder sehe und denke: Endlich! Jemand hat das gezeigt, was ich immer schon diffus ahnte, aber nicht artikulieren konnte! Dann ist es leicht. ich kann anderen "das Werk" zeigen und sagen: Siehst Du nicht, was dort gezeigt wird? (Die Ente/der Hase oder etwas drittes..) Schwieriger ist es, wenn ich etwas ahne, für das ich noch kein Pendant gefunden habe. Vielleicht muss ich es selber herstellen. Dann ist man in einer Situation, die Richard Rorty als "Flirts mit dem Unsinn" bezeichnet. Es gibt eine Grauzone, einen blinden Fleck, den ich aber nicht nur bei mir oder/und noch nicht als beschreibbares Bild wahrnehme, sondern auch bei anderen. Was tun? Meiner Meinung nach bleibt dann nichts anderes, als sich dem Flirt mit dem mögichen Unsinn zu stellen und in das naheliegende Unbekannte auszuschwärmen. Dann ist es aber wichtig, dass die anderen eine Bereitschaft zur Überraschung mitbringen. An dieser Stelle wird dann die Passivität im Sinne einer Ausgesetztheit wichtig. Denn es hilft nichts, wenn mein Gegenüber mein Begehren als Unsinn abtut, weil sie/er sich seiner Sache so sicher ist, sondern dann ist es leichter, wenn die/der Andere sich auf das Spiel interesselos einlässt und signalisiert: Ok., sag nochmal, ich verstehe noch nicht richtig. Meinst Du vielleicht das? Oder das? Dann kann Passivität als Ausgesetztheit auch eine Basis für gegenseitige Anerkennung sein. Was meint Ihr?
[FORTSETZUNG von links] Sensus communis ist vielleicht tief mit Kameradschaft verstrickt. Ich neige dazu, darunter alles zu fassen, was interessengelenkten ästhetischen Sensus communis betrifft.
Uns ist dagegen wichtig, Netz- und Visavis-Konversation auf Kunstniveau zu behandeln. Meine bisherige Skala
‘trivial – begeisternd‘
greift dann gar nicht mehr, denn Soldaten werden zum Töten begeistert.


Lieber Kurd, liebe Antje,

nach unserem Gespräch vorhin ist bei mir Folgendes hängen geblieben: Kameradschaft klingt nach militärischer, soldatischer Gemeinschaft, die immer hierarchisch strukturiert ist, d.h. die Einzelnen gehorchen einem faktisch-fiktiven Common Sense. Ob das manchmal nützlich und notwendig sein muss, ist eine andere Diskussion. Aber in einem zwanglos-ästhetischen Sinn kann darin Kommunikation nicht stattfinden, denn der Gemeinsinn ist dann ein verordneter, gewalttätiger. Der Sensus Communis im ästhetischen Sinn baut dagegen auf einer Interesselosigkeit auf, die – so verstehe ich auch Euer Prinzip der Mutualität – nichts mit Gleichgültigkeit oder Praxisferne zu tun hat, sondern mit dem Wagnis, wie Du sagst, Antje, sich dem Risiko auszusetzen, etwas Neues zu erfahren. Dann wird auch wieder Kurds "Alleine weiss ich nicht weiter – wie wäre es denn schön?" wichtig. Oder Antjes Unterscheidung dazwischen, sich zu exponieren und nicht, anderen imponieren zu wollen. Natürlich bleibt da eine Grauzone, denn es ist wichtig, sich für Gedanken, Werke, Produkte, etc.. zu begeistern. Aber vielleicht ist die Warnung Rortys wichtig, den "dunklen Zusammenhang von Kunst und Folter" nicht zu vergessen. Eine überspitzte Formulierung, aber auch nicht so überspitzt. Ich bin an diesem Punkt unsicher, aber sobald eine Idee, ein Kunstprodukt, ein Projekt als große Sache angesehen wird, die größer ist als der Alltag und darin eine Verachtung für das Alltäglich mitschwingt, kann sich schnell Gewalt einschleichen. Nicht, dass das jetzt Missverständnisse zur Folge hat: Konversationskunst hat damit nichts zu tun. Ich denke eher an die Ansprüche, die gelegentlich in Kunst – und in Philosophie – erhoben werden, DIE Wahrheit zu schauen/produziert/repräsentiert zu haben. Ich glaube, das meint Cavell, wenn er von der Anmaßung der Philosophie spricht. Und die Gefahr besteht wahrscheinlich überall, wo man glaubt, dem großen Ganzen auf der Spur zu sein...

Antje 9. Oktober 2006
Liebe Heidi, lieber Kurd,
hier noch ein paar Gedanken, zu Gemeinsinn, Konversationskunst und Anerkennungsverhältnis:

Zum Gemeinsinn:
Es gibt eine generelle menschliche Interdependenz, die sich über Resonanz vermittelt und so ermöglicht, das subjektiv erfahrene Schöne als allgemeingültig zu empfinden, was einerseits das Paradoxe dieses Gemeinsinns ist. Andererseits schlägt B. Taureck vor, für „jene Konstellation, in welcher Bedeutung lustvoll in ihrer Überindividualität für die Individuen erscheint“, das Wort „kairos“ zu verwenden.Und weil wir diesen wunderbaren Gemeinsinn haben, sind wir soziale Wesen, sind wir gesellschaftsfähig. Der Gemeinsinn muss aber gepflegt und trainiert werden, sonst verkümmert er.

Zur Konversationskunst:
Durch die Konversationskunst z.B. wird der Gemeinsinn gepflegt und trainiert.
Das fördert den zwischenmenschlichen Umgang und hält den Sensus Communis offen und entwicklungsfähig.
Sensus Communis beinhaltet im Gegensatz zu Common Sense, dass immer wieder in Neuerfahrbarem aus dem gemeinsamen Umgang, in der gegenseitigen Bestätigung abweichenden Verhaltens, im Anerkennungsverhältnis die Verhärtungen aufgeweicht werden, Grenzen verschoben werden.

Zum Anerkennungsverhältnis:
Im Übergangsmoment des Konvertierens treten die blinden Flecken in den Gesichtskreis von Selbst und Anderen. Wahrscheinlich ist das die Voraussetzung für die Anerkennung des Anderen, die Aufweichung der Verhärtungen und für Grenzerweiterungen.
Die Grenzerweiterung ist wohl auch der „Flirt mit dem Unsinn“. Jedoch bedeutet das Einlassen auf die blinden Flecken immer auch Wagnis, weil mich diese Ahnungen von dem, was hinter der Beschränkung liegt „in das nahegelegene Unbekannte ausschwärmen“ lassen und sich nicht abschätzen lässt, in welchen Dimensionen sich die Veränderungen abspielen werden.

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