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Abbildung 2. Helmar Frank: Darstellung der Kybernetik in vier Stufen zunehmender Komplexität

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Abb.1. Georg Nees' erste Computergrafik ist die in dem Bild rechte Figur (seit ihrer Veröffentlichung ist sie mir, K.A., die liebste seiner Grafiken gewesen). Sie stand zuerst an dieser Stelle.
Nachdem Georg Nees sie dort gesehen hatte, sandte er uns ein neues, das obige, Bild mit zwei montierten Zeichnungen und der Bemerkung "Lieber Kurd, warum vereinigst Du uns nicht brüderlich!" Das tue ich sehr gern! - Links zeigt sein Bild eine Computerzeichnung von mir, Kurd Alsleben zusammen mit Cord Passow.

Ansatz einer Modellstruktur für die Netzkunst in Anlehnung an die Spieltheorie


Kurd Alsleben und Antje Eske


I.
Um die Perspektive des Künstlers, die hier geltend gemacht wird, ging es - spätestens seit Georg Nees - auch der generativen Ästhetik in der Informationsästhetik. Bild 1.
Als das Internet aufkam, verlor in der Kunst die Idee der Produktion präsentierbarer Werke ihren Alleinvertretungsanspruch. Neu ist das Erscheinen faktischer Wechselseitigkeit. Solches bereitete sich, unabhängig von der elektronischen Entwicklung, in der Kunst lange vor, wir verweisen auf Marcel Duchamps Manifestationen seit Anfang des vorigen Jahrhunderts. Ältere Vorgänger gibt es in der barocken Salonkultur, in der Brief- und Broschürenkultur, in den Musenhöfen oder der antiken Ars Sermonis sowieso (Luhmann 1980; et al.).
Aktuell tritt Wechselseitigkeit ausgeprägt in der Netzkunst auf (Beck/Büttner 2002; et al.; Weiß 2004). Üblicherweise produziert ein Künstler ein Werk und präsentiert es einem Publikum, das sich mit dem Werk geistig auseinandersetzt (der Künstler selbst ist schon aus praktischen Gründen in Abwesenheit). Die neuen Netztechniken reproduzieren viele alte Formen, aber im Präzisen evozieren sie unmittelbares Hin und Her. Der Künstler (nun mit konversationeller Kompetenz) ist einer geworden, der gleich den anderen Beteiligten Botschaft auch begehrt (Alsleben 1990, et al., a).

Wie kann Wechselseitigkeit in der Kunst als Modell formuliert werden? Modellieren ist förderlich, indem es gedankliches, darstellerisches und kooperatives Organisieren unterstützt und dem Denken Festmachen ermöglicht, ähnlich einem an der Wirklichkeit.
Obige schlichte Frage anzugehen wird belastet dadurch, dass im Bereich der Kultur die Wechselseitigkeit ausserhalb des in ihr herrschenden rhetorischen Paradigmas steht - also ausserhalb des selbstverständlichen Bestrebens, Mitmenschen zu überzeugen usw. Daraus resultiert die im Titel erwähnte Anleihe bei einer Nachbardisziplin (der Ökonomie).

In der Informastionsästhetik wird man, weil sie seit den 70er Jahren nicht weiterentwickelt wurde und auch immer zum rhethorischen Paradigma stand, vielleicht keinen Beitrag zum Beantworten der neu aufgetretenen Fragen suchen. Tatsächlich ist aber dort ihr Ausgang zu finden.

Unserer Einsicht und Erinnerung nach darf die in Frankreich, Deutschland und auch Italien entwickelte Informationsästhetik in einen semiotischen (Bense) und einen kybernetisch-mathematischen (Frank) Flügel unterschieden werden (Moles 1952, et al., Alsleben 1962). 1964 stellte Helmar Frank die Kybernetik in vier Stufen zunehmender Komplexität dar, Bild 2 (Frank 1995, 1964):

  • Auf der 1. Stufe kommt die allbekannte Informationsästhetik zu stehen, in der Elemente ausgezählt und informationstheoretisch verrechnet werden, um eine Quantifizierung des Schönen (unter Ausklammern des pragmatischen Informationsgehaltes) zu gewinnen.
  • Auf der 2. Stufe steht die oben schon erwähnte generative Ästhetik.
  • Auf der 3. Stufe könnte die inzwischen Standard gewordene interaktive Kunst behandelt werden, die von der Informationsästhetik aber nicht wahrgenommen wurde.
  • Mit der 4. Stufe hat Helmar Frank die faktische Quelle wechselseitiger Kunst aufgewiesen, die auch einen Hinweis auf die Spieltheorie enthielt. Wobei zu bemerken ist, dass Frank eine Wechselseitigkeit zwischen beliebigen Systemen zeigt. Der Mitverfasser vorliegenden Textes K.A. sah damals in den Zeichen für Systeme entsprechend seiner künstlerrischen Intention Menschen. (Eine unterscheidende Bezeichnung zwischen Interaktion {Mensch / Mensch} und Interaktivität {Mensch / Maschine} hat die Informatik bis heute ausgelassen.)
K.A. empfand auf dieser 4. Stufe damals zum ersten Mal eine Stimmigkeit zwischen Kunst und Informationsästhetik. Bis zum Zutagetreten gegenwärtiger Netzkunst dauerte es 25 Jahre (Alsleben, Eske, Fischer et al. 1990).

Bisher sprachen wir von Netzkunst und meinten ursprünglich das Internet. Durch unsere Affaire ‘il chat di urbino‘ von 1999, unsere Beschäftigung mit alter Konversationskunst, und der Beschäftigung mit der eigenen Geschichte, sowie Einwendungen von Freunden hat das Wort eine Bedeutungserweiterung gewonnen, die auch Visavis und andere soziierende Netze umfasst.


II.
Unsere Modellanleihen bei der Spieltheorie (Morton 2005, Selten/Pool 1995) sind, wenn sie sich als richtig erweisen, für die Netzkunst erhellend, auch wenn sie nicht umfangreich und nicht mathematisch sind. In unserer speziösen Wissenschaftsgesellschaft liebt man es, eine gewisse Gleichheit oder Einvernahme von Kunst und Wissenschaft zu erklären; dem folgen wir nicht, sondern beobachten exemplarisch, dass ein Unterschied besteht, ob jemand ein Lied singt oder ein Hebelgesetz weiss (Erkenntnis ungleich Sozialität).
Unsere Bezugnahme auf die Spieltheorie nennt Verschiedenheit (3), vergleichbare Beobachterperspektiven (2) und Übereinstimmen hinsichtlich des Akteurs (1).

1 Aspekt Menschen
Die Spieltheorie ist eine Theorie für Menschen (oder Organisationen), in diesem Sinne ist sie für die hier behandelte Frage der Netzkunst attraktiv.
Oskar Morgenstern, der Koautor der ersten Veröffentlichung über Spieltheorie (The Theory of Games and Economic Behavior), schreibt (Morton 2005): „… soziale Phänomene sind ganz anders: Die Menschen setzen ihre Handlungen manchmal gegeneinander, manchmal miteinander; sie haben ein uneinheitliches Wissen voneinander, und sie lassen sich von Zielen und Hoffnungen leiten, die zu Konfliktsituationen führen, aber auch Zusammenarbeit hervorrufen können. Die unbeseelte Natur weist keine dieser Züge auf.“ Die Spieltheorie spricht über die in ihr auftretenden Menschen und ihre situativen Kontexte gemäss unseres vagen Alltagswissens. Hinsichtlich ihres Gegenstandes hat sie Begriffe wie Auszahlung, Strategie, Gleichgewicht u.a. und mathematische Darstellungsweisen geprägt, doch bezieht sie sich nicht explizit auf anderer Disziplinen wie Soziologie, Psychologie o.ä. Das kann für uns, für die auch spontane Wahrnehmungen wichtig sind, modellhaft sein - „Alles ist zu sehen.“, eine Devise der Mitverfasserin A.E.
Die Frage der 60er Jahre „Können Computer Kunst machen?“ verweist darauf, dass Computerwissenschaftler annahmen, ihre damalige Idee des Objektivierens menschlicher Fähigkeiten an der Kunst per Computerkunst erproben zu können. Der Mitverfasser K.A., der mit seinen Computerzeichnungen diesen Weg damals mitgegangen ist - er vermutete mit einem Computer zu konversieren - beobachtet heute unter den damaligen Kollegen kaum einen, der vielleicht noch an eine diesbezügliche Mensch-Maschine-Kommunikation ohne menschlichen Künstler glaubt (Alsleben 1990, b). - Wir Menschen leben in einem Ozean von Bedeutungen miteinander, Kunst ist wesentlich Bedeuten unter Menschen.

2. Aspekt Beobachter
In der Spieltheorie gibt es die Parallelität zwischen der Position des Beobachters und der des beobachteten Akteurs: „Sie sollten nicht vergessen, auch die Überlegungen Ihres Gegners mit in Betracht zu ziehen - wenn Sie C wählen, haben Sie zwar eine Chance, Ihren grösstmöglichen Gewinn […] zu erzielen; aber wird Ihr Gegner kooperieren […] Wie entscheiden Sie, warum, und was, meinen Sie, ist das Ergebnis dieses Spiels?“ (Morton 2005).
Auch in Kunstaffairen ist derartige Parallelität zwischen den mehreren Akteuren einer Affaire (Kunstconsorten), und dem Beobachter nötig (Personalunion zwischen Beobachter und Akteur). Derartiges Beobachten wurde in der Handlungsforschung der 70er Jahre teilnehmende Beobachtung genannt.
Als externer Beobachter stünde er einer Anzahl Blackboxen gegenüber, ihr Exponieren voreinander und ihre andeutenden Turns untereinander wären in ihrer Komplexität und der Geschwindigkeit der Ereignisse praktisch uninterpretierbar, von dem Kunstereignis bekäme er als Externer nichts mit.
Ein expost Beobachten von ggf. Mitschnitten durch Akteure (in der Netzkunst Retrospettiva genannt), bzw. die Ergebnisanalyse in der Spieltheorie, sie gehören zum Modell. - Veröffentlichte expost Beobachtungen sind, das ist klar, nicht das Spiel, nicht die Affaire.

3. Aspekt Interesselosigkeit
Dem Sinn nach ist der Unterschied zwischen beiden hier zusammengebrachten Feldern wohl unüberbrückbar. Inhalt der Spieltheorie ist der Wettbewerb, Strategie und Auszahlung sind in ihr grundlegende Begriffe. Einleitungen zur Spieltheorie lesen sich wie kapitalistische Hymnen, auch Generäle werden angeführt und Politiker, die zwar nicht mehr ihre Macht ausdehnen, aber u.U. die Wahl gewinnen sollen. All das verträgt sich nicht mit ‘interesselosem Wohlgefallen‘, mit ästhetischem Sensus Communis, dem soziierenden oder soziellen Sinn, und anderen Ideen der Ästhetik. Andererseits wissen wir, dass Spiel und Ästhetik auch zusammenhängen - uns fehlt Gelehrsamkeit darüber mehr zu sagen (Reichlin 2001, Salaverría 2006).
Aber was bedeutet uns Interesselosigkeit in der Konversation? Gemeint ist die situationsbezogene Uninteressiertheit an Vorteilssuche und Nutzen, die von spielerischem Umgang oder heiterer Geselligkeit her gut bekannt ist. Auch von ernsten Situationen kennt man sie. Wenn Konversation nicht Normen oder Unsolidarität verstärkt, sondern als umherschweifende Kunst gepflegt wird, kann sie der herrschenden Meinung gegenüber ununterlaufbar befreiend sein.

Wieweit unser Text uns und anderen Künstlern zukünftig beim Nachdenken hilft, muss sich erweisen. Wenn er auch Gelehrten zu partieller Orientierung dienen kann, würden wir uns freuen.
Beim Schreiben sahen wir oft aus dem Fenster in den grünen Garten - unser Garten ist eine Lichtung.



Quellen und Anmerkungen
O Alsleben, Kurd: Ästhetisvche Redundanz. Quickborn 1962
O Alsleben, Kurd: Computerkunst - Form als ethisches Fragen. In: K.P. Dencker (Hg.): Interface 1. Hamburg 1990. O ders. und Antje Eske (Hg.): Mutualität in Netzkunstaffairen. Norderstedt, 2004. a) O b) vgl. die Ausstellungen durch Wulf Herzogenrath und Barbara Nierhoff von Frieder Nake, Georg Nees, Vera Molnar, Otto Beckmann, Kurd Alsleben / Antje Eske und Freunden in der Bremer Kunsthalle von 2004 - 2007.
O Alsleben, Eske, Fischer et al.: StapelLAufN. INTERFACE 1, Symposion der Kulturbehörde Hamburg 1990.
O Beck, Stefan interviewt von Sascha Buettner und Marcus Bohl: Mehr als eine Pförtnerloge. In: Bohl, Buettner et al. (Hg.): Borderline. Strategien und Taktiken für Kunst und soziale Praxis. AG Borderline Kongress, BBK Wiesbaden 2002. O Vgl. info@thing-frankfurt.de; http://wiki-institute.com/cgi-bin/twiki/bin/view.pl/Serverfestival/WebHome; Antje Eskes regelmässige Bilderchats seit Jahren http://swiki.hfbk-hamburg.de:8888/netzkunstwoerterbuch
O Frank, Helmar G.: Informationsästhetik - Kybernetische Ästhetik - Aesthetokybernetik. Informaciestetiko - Kibernetika estetiko - estetikkibernetiko. Universität Sibiu (RU) 1995. O ders. : Kybernetische Analysen subjektiver Sachverhalte. Eberhard Schnelle, Quickborn 1964 O ders. : Informationstheorie für Kommunikationswissernschaftler. Akademia Libroservo, Berlin & Paderborn 2004.
O Luhmann, Niklas: Gesellschaftsstruktur und Semantik. Bd. 1. Suhrkamp, Frankfurt / Main 1980. N.L. stellte Wechselseitigkeit als eine historische Semantik auf dem Wege des Verlassens schichtenspezifischer Gesellschaftsordnung dar. Nimmt man die Semantik des Netzes und den Aufschwung technischer Kommunikationsmitteln in unserer Zeit wahr und die interaktive Kunst seit 1970, bestätigt das aber eine substanzielle Abwicklung der Wechselseitigkeit in den 1790er Jahren nicht. Wir schätzen, dass ihr erneut latente Kräfte innenwohnen. O Vgl. Alsleben, Kurd und Antje Eske (Hg.): NetzkunstWörterBuch. Hamburg und Norderstedt 2001/03.
O Moles, André Abraham: Comment peut-on, mesurer‘ le message parlé? In: Folia phoniatrica Bd. 4, Nr. 3. Zürich. O In Frankreich: André Abraham Moles, Francois Molnar et al.; in Deutschland: Wilhelm Fucks, Max Bense, Helmar Frank et al., Horst Völz (DDR); in Italien: Umberto Ecco, Gillo Dorfles, Birgid Rauen et al.
O Morton, Davis D.: Spieltheorie für Nichtmathematiker. Oldenbourg, München 2005.
O Reichlin, Urs: Spielender, Spielverderber, Spieler. In: Alsleben, Kurd und Antje Eske (Hg.): NetzkunstWörterBuch. Hamburg und Norderstedt 2001
O Salaverría, Heidi: Das partikulare Selbst. Zwischen kritischem Common Sense und Sensus Communis. Braunschweig 2005.
O Selten, Reinhard und Jonathan Pool: Enkonduko en la Teorion de Lingvaj Ludoj. Einführung in die Theori sprachlicher Spiele. Akademia Libroservo, Berlin & Paderborn 1995.
O Weiß, Matthias: Das Gütersloher Netzkunstbuch. Gütersloh 2004.

(Eingereicht bei der Redaktion der Zeitschrift ‘Grundlagenstudien aus Kybernetik und Geisteswissenschaft‘, Paderborn am 4. August 2006.)


Bemerkungen geneigter LeserInnen:

Zeitlängen frei von Vorteil und Nutzen, ja so läuft das konversative Spiel -
Partien in der Lichtung der Gärten.
G.Nees. (S.a. 703 -> "Das Spiel Computerkunst", 7_Disputationen, in: Alsleben/Eske (Hg.): Mutualität in Netzkunstaffairen. Hamburg und Norderstedt 2004)

Ja, das kennt doch jeder: Zeitlaengen - nicht unbedint lang, nein.
(Und Gärten sind keine Unfaelle im Verhaeltnis zu Aeckern,
in ihnen schweift man umher.)

Lichtung = auch Freiwerden der Gedanken im/durch das Spiel
Scheinbares Paradox: Das Spiel, frei von Vorteil und Nutzen, bringt doch Gewinn
Die Maschinerie stört nicht, denn sie ist nichts anderes als Hilfe beim Bahnen von Wegen und Bauen von Brücken