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22. Netzkunstaffaire am 04.01.07 - (Rolf)



Autor: diverse
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kurzzeitversetztes Forum._Rolf Todesco, _Kurd Alsleben, _Antje Eske et al. 4.1.2007
Uploaded Image: IMGP3721.JPG
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Kunstaffaire mediens Internet am 4. Jan. 07.
Anregung «gedankeninhaltlich» A. Eske, Rolf Todesco (CH); Consorten Stammgruppe und Unbekannt


Bilderchat. Wir haben uns im ‘Swiki‘ verpasst. Der Chat fand ohne den Anreger Rolf Todesco statt, der schrieb: „... bei mir ist das Aesthetische ganz direkt und unvermittelt an Inhalt und Gedanken gebunden.“... „Ihr schreibt, ‘Wenn gedankliche Reden dominierend sind, schwindet das Ästhetische.‘ Ich erlebe das sehr anders.“
Eine ursprünglich avisierte Anregung war ‘kurzzeitversetztes Forum‘ und hob auf eine grundlegende konversationelle Erfahrung von Rolf Todesco und Kurd Alsleben aus dem Jahr 2002 ab http://www.netzkunstwoerterbuch.de . (nach meiner Erinnerung ging es darum, bei unterschiedlicher Meinung Ausdrucksformen zu haben, die Austauschen statt Überzeugen möglich machen.)

Meiner Meinung nach ging und geht es darum, dass die Ausdrucksformen nicht in dem Sinne Meinungen repräsentieren, die verschieden sein können. In der Hyperkommunikation, also dort wo Hypertexte kollaborativ entwickelt werden, geht es um die erhebliche Ausdrucksform, nicht um unerhebliche Meinungen. Das jedenfalls ist meine Meinung. Dann aber spielt natürlich auch keine Rolle mehr, wer welche Meinung hatte und was daraus geworden ist. Dagegen ist im Ausdruck dia logos (durch das Wort) gefunden, was verschiedenste Meinungen aufgehoben hat. Ich stelle mir jede Netzaffaire als Dialog vor.

Hyperkommunikation: Der Dialog im Dialog

Netzaffairen begreife ich als inszenierte Dialoge. Inszeniert werden Dialoge in Form von Veranstaltungen, in welchen durch Protokolle darüber, wie man spricht, verhindert, dass der Gesprächsgegenstand die Führung darüber übernimmt, was man spricht. Die Protokolle, die die Gesprächsform festlegen, sollen verhindern, dass die Sprechenden zu Subjekten verkommen, die der jeweils verhandelten Sache, etwa durch monierte Sachlichkeit, unterworfen sind. Die Protokolle verlangen vordergründig, dass die Formulierungen eine bestimmte Form einhalten, so dass ich jedesmal bevor ich spreche, noch etwas über die Formulierung nachdenken muss. So bleibe ich stets Gewahr, dass ich spreche und dass ich, das, was ich sage, auf verschiedenen Weisen sagen kann, wodurch ich Verschiedenes sage. Ich treffe eine Wahl, bedenke also, was ich mit dem, was ich sage, aneignen will.

Solche Dialogveranstaltungen kann man als Fortsetzung der Konversationssalons des sich darin auflösenden Mittelalters sehen. In der kultivierten Salonkonversation liegt die Aufmerksamkeit immer darauf, dass keine Tatsachen entstehen, obwohl oder gerade weil in diesen Salons immer die Zeit nach der nächsten Revolution antizipiert wird, die Utopie, die erst erwogen wird, die man erkennen, aber nicht kennen kann. Die in den Dialogveranstaltungen verwendeten Protokolle stammen aber nicht aus den aristokratisch-frühbürgerlichen Salons, sondern werden im Dialog selbst so entwickelt, dass das jeweilige Dialogverständnis seinen jeweils aktuell festgelegten Ausdruck findet. Im Protokoll ist die Differenz zwischen Präskription und Deskription aufgehoben, anhand des Protokolls kann man erkennen, woran sich die Dialogrunde halten wollte.

Solche Dialoge stammen von Dialoggemeinschaften, die sich nicht zufällig im Park oder am Stammtisch zu einem zufälligen Geschwätz treffen, sondern eigens in Veranstaltungen zusammenkommen, um im Dialog über den Dialog nachzudenken und dialogische Haltungen zu erkunden. Wir haben einen verpassten Dialog im Swiki in einer Begegnung an der MMK nachgeholt und dort erkundet, wie man im Dialog dialogisch und effektiv über den Dialog nachdenken kann. Wir bezeichnen diese Praxis als partizipierendes Denken. Man kann aber auch einfach von Partizipieren, Zusammenarbeiten oder Kommunizieren sprechen, wenn man das Denken in zwischenmenschlichen oder sozialen Beziehungen nicht so herausstellen will. Bezeichnungen wie Denken und Arbeiten verführen überdies leicht dazu, eine Art Nützlichkeit, eine Funktion oder einen Zweck zu suchen und den Dialog so zum Mittel zu machen. In unseren Dialog-Veranstaltungen geht es aber um den Dialog, nicht um einen Zweck, zu welchem der Dialog als Verfahren oder als Methode zu begreifen wäre. Wir praktizieren den Dialog, wir verwenden ihn nicht und wenden ihn nicht an. Es geht in diesen Dialogen nicht um eine Sache, sondern um Beziehungen, die wir zu Sachen, zu Mitmenschen und zum Leben haben.

Im so verstandnenen Dialog finden unsere Beziehungen ihren Ausdruck dia logos; dia logos heisst durch das Wort. Im Dialog unterscheiden wir ich und du, damit wir die Beziehung, die Art, wie wir in der Einheit einer umfassenden dialogischen Kultur zusammen gehören, zur Sprache bringen können. Indem wir die analytische Differenz eines Ichs erzeugen, können wir über die Einheit in Form von Beziehungen zwischen Ich und Du sprechen. Die in diesem Dialog gemeinten Beziehungen zwischen ich und du sind wechselseitig, sie werden in dialektischer Rede entfaltet, eben im Dialog. Im Dialog höre ich, wie ich diese Beziehungen auch sehen könnte, weil andere sie so sehen. Im Dialog beobachte ich Unterscheidungen, die zu verschiedenen Vorstellungen führen. Viele dieser Unterscheidungen sind kulturell in dem Sinne fundamental, als sie innerhalb der Kultur kaum wahrgenommen werden. Im Dialog machen wir solche Unterscheidungen dia logos explizit und ermöglichen uns damit gewählte Vielfalt. Ich spreche im folgenden exemplarisch einige dieser Unterscheidungen an, die mein in unseren Veranstaltungen entwickeltes Dialogverständnis selbst betreffen.

Zum einen erkenne ich, dass ich in meinem Alltag in zwei verschiedenen Dialogkulturen lebe, die man etwas plakativ als jüdisch-gemeinschaftlich und griechisch-wissenschaftlich bezeichnen könnte. Die "griechischen" Dialoge von Sokrates, die Galileo Galilei wieder aufgenommen hat, widerspiegeln sich in unserer wissenschaftlich orientierten Ausbildungen, insbesondere in der Didaktik. Es geht dabei darum, Wissen mitzuteilen und sicherzustellen, dass alle dasselbe, das möglichst Richtigste wissen. Galileo Galilei hat dafür den Ausdruck Diskurs verwendet, weil er sich der scheidenden und entscheidenden Praxis bewusst war. Den religiösen Dialog dagegen erkenne ich als Gespräch, das wie ein Gebet an das Du gerichtet ist. Es geht mir in diesem Dialog darum, mich selbst in eine Beziehung zur Welt zu setzen, während ich die Wissenschaft gerade unabhängig von mir zu denken habe. Martin Buber bezeichnet diese Unterscheidung durch zwei verschiedene Ich-Formen, ein Ich-Es und ein Ich-Du. Das Ich-Es spricht - schliesslich wissenschaftlich - über die Welt, das Ich-Du spricht mit der Welt. Franz von Assisi sprach mit den Vögeln, nicht über die Vögel. In unseren Dialogveranstaltungen lavieren wir oft zwischen diesen Kulturen. Unser Dialog erscheint als Differenz zwischen Dialog und Diskurs, so dass diese Differenz erfahrbar wird.

Eine andere manifeste Differenz besteht zwischen Dialogen und Dialog-Veranstaltungen. Die Dialog-Veranstaltung ist als Uebung konzipiert. Ich übe aber in der Dialog-Veranstaltung nicht für einen späteren Zeitpunkt, für einen Auftritt oder für einen Ernstfall, ich übe im Sinne des Ausübens. Die Uebung zeigt sich darin, dass wir uns ein Protokoll geben, während Dialoge natürlich gerade keine Regeln haben, die jemand einhalten müsste. Ein grosser Teil der Reflexionen in unseren Dialogen betrifft den Sinn und die Interpretation dieses Protokolls. Weil die Regeln nicht von aussen kommen, sondern in den Dialoggruppen selbst hervorgebracht werden, ist die Reflexion der Regeln immer auch eine Reflexion des mitgebrachten Verständnisses. Und weil leicht zu erkennen ist, dass die Regeln nicht das Wesen des Dialoges betreffen, sondern Werkzeuge der Uebung sind, herrscht in den Dialogveranstaltungen zu diesen Regeln immer ein ambivalentes Verhältnis mit einem beträchtlichen Frustrationspotential, das wohl jedes geregelte Ueben begleitet.

Eine daran anschliessende Differenz besteht zwischen Regeln als Gebot und Regeln als Vision. Unsere Dialogregeln sind keine Vorschriften, die jemand einhalten müsste. Das würde nicht nur dem Dialog prinzipiell widersprechen, sondern auch einer Veranstaltung, deren Sinn auch im Ausloten von Regeln liegt. Die Regeln müssen nur in einem bestimmten Sinn eingehalten werden, sie müssen als solche aufrecht erhalten werden, gleichgültig wie oft sie auf welche Weise verletzt werden. Die Regelverletzungen müssen als Ausnahmen wahrgenommen werden können, oder wo das nicht mehr gelingt, als Antrag, die Regeln zu ändern. Regelverletzungen werden in keiner Weise geahndet, sie werden als Anlass genommen, die Regel zu bedenken. Die Regeln beschreiben als Vision, wie ich sprechen möchte, wie ich sprechen werde, wenn ich dialogisch entwickelt bin. Wenn ich die Einträge auf den Steintafeln von Moses als solche Regeln lese, lese ich nicht, Du sollst nicht lügen, rauben und töten, sondern die Verheissung, Du wirst nicht lügen, rauben und töten, wenn du ein Mensch geworden bist. Das Protokoll beschreibt die Zukunft, sozusagen für die Gegenwart.

Schliesslich erkenne ich in den Dialogbeiträgen oft eine Differenz zwischen dem ich und dem wir. Wo wir gemeinsam denken und sprechen, liegt immer die Vorstellung nahe, dass wir ein gemeinsames Verständnis anstreben oder gar erreichen könnten. Solche Gemeinsamkeiten würden aber allenfalls über die Welt bestehen, denn die Gemeinsamkeit zwischen den Dialogbeteiligten ist im Dialog bereits gegeben, bevor irgend etwas geäussert wird. Was im Dialog gesagt wird, sind Worte - dia logos. Worte haben aber ihre Bedeutung nicht in sich, sondern in den Sprechenden und in den Hörenden. Es ist im Dialog nicht wichtig, dass diese Bedeutungen irgendwie übereinstimmen, sondern nur, dass es den Dialogteilnehmenden gelingt, durch die Worte den Sinn des Du zu erkennen. Im Dialog muss ich nicht über die richtige Interpretation von Worten befinden oder in irgendeiner Art intersubjektiv verstehen, was mit den Worten gemeint sein könnte. Der Dialog beruht darauf, dass wir verschieden sprechen. Im Dialog hören alle, was sie hören, und alle verstehen, was sie verstehen.

Die hier vorgestellten Dialoge sind äusserlich durch Dialogregeln bestimmt. Ein paar einfache Dialogregeln, die sich am Anfang von Veranstaltungen schon oft bewährten, beschreiben etwa, dass ich im Dialog ich-Formulierung verwende und in die Mitte spreche. Ich spreche nicht zu, sondern mit Menschen. Die Regeln sollen mich in bezug auf Argumentationen und Ueberzeugungen sensibilisieren. In Dialogen versuche ich nicht zu überzeugen, was von andern bezeugt wird. Ich bezeuge, was ich fürwahrnehme. Die für mich grösste Herausforderung besteht darin, im Dialog etwas anderes als andere zu sagen, ohne dies als ihnen zu widersprechen zu begreifen. Im Dialog muss ich auf eine radikale Weise in meiner Vorstellung sein, weil ich nur so den Respekt nicht verletze. Die durch Dialogregeln selektierten Formulierungen lassen sich als eine Art Absicherung verstehen, als ein Behältnis, innerhalb dessen ich ohne Vorsicht und ohne Rücksicht von Herzen sprechen kann. Was mir in einer Diskussion als Widerspruch erscheint, verstehe ich im Dialog als komplementäre Auffassung, die Reichtum erschliesst, weil von allem, was von Herzen gesagt wird, nichts ausgeschlossen wird.

Man kann in der Dialogveranstaltung nach der Funktion der gewählten jeweils Regeln fragen. Eine Funktion der Regeln sehe ich darin, noch nicht entwickeltes Vertrauen zu überbrücken. Ich brauche beispielsweise im Dialog eine Art Vertrauen, welches mir auch das Aushalten von Aussagen ermöglicht, die ich nicht sofort verstehen kann. Wenn ich dieses Vertrauen entwickelt habe, kann ich im Dialog Bewertungen zurückstellen. Ich kann abwarten, wohin die Reise gehen wird, ich muss nicht sofort ins Steuer greifen. Die Regeln können - bewusst oder unbewusst - so gewählt werden, dass sie für mich Effekte haben wie dieses vorerst nur potentiell vorhandene Vertrauen. Man kann etwa als Regel wählen, auf rasche Bewertungen zu verzichten, Aussagen in der Schwebe zu halten, auch wenn das Vertrauen noch nicht durch Erfahrungen begründet ist. Eine entsprechende Regel würde etwa lauten, dass die Aussagen nicht kommentiert werden, dass also beispielsweise nicht erklärt wird, wie eine Aussage zu verstehen sei. Im Dialog wird sich zeigen, wie das aktuelle Nichtverstehen, etwa das Staunen darüber, dass jemand etwas ganz Undenkbares sagt, aufgehoben wird.

Die Dialogregeln sollen Wirkungen entfalten, die einen Dialog erkennbar machen. Umgekehrt kann man die Dialogregeln dann auch als Beschreibung eines Dialoges auffassen. Da wir weder den Dialog noch die Dialog-Veranstaltung neu erfinden, beginnen wir praktischerweise mit ein paar Regeln, die sich an anderen Orten bereits bewährt haben. Alle Regeln können jederzeit modifiziert oder ersetzt werden, wenn sie den Dialog behindern oder blockieren. In einer gewissen Hinsicht geht es ja in der Dialogveranstaltung darum, die Dialogregeln aufzuheben, also darum, in den Dialog zu kommen. Die Regeln lenken meine Aufmerksamkeit. Wenn ich eine Dialogregel verletze, habe ich Anlass über mein Verhältnis zum Dialog nachzudenken. Im Dialog denke ich aber nicht im Stillen und nicht einsam für mich, sondern gemeinsam, partizipierend, eben im Dialog. Die Regeln und deren Verletzungen können kollektive Anlässe schaffen. Dabei kann ich neue Sichten auf die Regel und auf mögliche Interpretationen der Regeln gewinnen. Regeln können sinnlos werden, weil sie gar nicht mehr gebrochen werden oder eben, weil sie noch zu widerständig sind und den Fluss des Dialoges verhindern.

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