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Absolute Feindschaft als geopolitische Option?



Autor: Bernhard Taureck
Absolute Feindschaft als geopolitische Option?
Von Bernhard H.F.Taureck
©taureck, veilchenstr. 2a, 30 175 hannover, bhftau@web.de


Leben wir seit dem 11. September 2001 in einer neuen Ära gefährlicher und gar absoluter geopolitischer Feindschaft? Handelt es sich dabei um eine Feindschaft, die zwar kaum in ihren Voraussetzungen geklärt ist, die jedoch zugleich zu massivem Handeln führt und zu führen droht? Diese Fragen drängen sich auf, und sie sollten nicht unbeantwortet bleiben. Zuviel hängt davon ab, ob wir unversöhnliche Feindschaften wollen oder nicht wollen, ob wir sie uns leisten oder nicht leisten können.


Umgang mit Feindschaft

Als das 20.Jahrhundert zu Ende ging, fiel die historische Bilanz im Grunde zweischneidig aus. Auf der einen Seite standen gleich zwei Kriege, für die vordem noch das Wort gefehlt hatte: Weltkriege. Kriege sind zwar vermutlich so alt wie die Menschheit. Sie fanden vor 1914 jedoch regional begrenzt statt. Auf dieser Seite der Bilanz standen außerdem mehrere Genozide bisher unbekannten Ausmaßes und perfekter Organisation, sowie der Einsatz und die immer weitere Gigantisierung völlig neuer Waffen mit globaler Reichweite. Diese Bilanz zu ziehen, heißt eine Zusammenstellung von Leid, Trauer, Schrecken und Gefährdung zu geben. Die andere Seite der Bilanz läuft auf etwas hinaus, was man im Rückblick auf das bisher destruktivste Jahrhundert der Geschichte zunächst gar nicht vermuten würde. Das Völkerrecht hat hier nämlich eine Art Quantensprung gemacht. Das uralte Recht der Staaten, das traditionell wesentlich zu ihrer Definition gehörte, nämlich das Recht Kriege zu führen, das ius ad bellum, wurde abgeschafft. Es blieb nur noch das Recht zur Selbstverteidigung übrig. Diese Bilanz ergibt einen international geltenden Rechtsentzug für den Einsatz bewaffneter Gewalt, außer im Fall der legitimen Selbstverteidigung.

Es scheint, als seien sich Politiker, Publizisten und Wissenschaftler zur Zeit der Jahrtausendwende darüber einig gewesen, dass beide Bilanzen nicht unbedingt voneinander abweichen oder abweichen müssten. Zwar gab es weiterhin Krieg und Gewalt, aber sie breiteten sich nicht international aus. Die Erde wurde von einem neuerlichen großen Flächenbrand verschont. Die Bilanz des Leids und der Furcht musste nicht zwangsläufig in noch mehr Leid und Furcht münden, denn es wurde eine Strategie erfunden, die der Abschaffung des Rechts zum Krieg auch globalstrategisch entsprach. Diese Strategie hatte verschiedene Namen, sie hieß Gleichgewicht des Schreckens, wechselseitige Abschreckung, Parität. Sie beruhte auf dem Gedanken einer wechselseitigen Verwundbarkeit und dem gemeinsamen Ziel der Verhinderung des Ernstfalls. Trotz verschiedener Irritationen hat diese Strategie das oft beschworene Inferno eines thermonuklearen Suizids der Supermächte verhindert.

Nach dem Ende der einen Supermacht besaß die andere, die übrig gebliebene Weltmacht zwei Optionen: Isolationistischer Rückzug oder Gestaltung der internationalen Politik. Die Vereinigten Staaten hatten sich schon einmal, trotz ihrer Teilnahme am Ersten Weltkrieg, nach 1918 aus der internationalen Politik zurückgezogen und waren beispielsweise nicht dem Völkerbund beigetreten. Zwar gibt es auch heute noch isolationistische Stimmen in den USA. In einer Zeit steigender Abhängigkeit von Rohstoffen und insbesondere vom Öl erscheint Isolationismus jedoch kein Gegenstand einer rationalen Wahl. Was aber wäre die Alternative? Diese Frage stellte sich während der über ein halbes Jahrhundert dauernden Bipolarität nicht. Hier hatte sich eine Geostrategie der Parität als die verhältnismäßig beste Sicherheitsgarantie herausgestellt. Grundsätzlich gäbe es heute zwei geopolitische Modelle. Das eine wäre ein politischer und ökonomischer Föderalismus, der auf einen globalen Gesamtstaat zustrebt. Das andere Modell läuft auf die Kontrolle vieler Staaten durch einen einzigen Staat hinaus. Eine solche Lösung heißt Hegemonie. Hegemonie beinhaltet ungefähr gleiche Rechte verschiedener Staaten bei ungleich verteilter Macht und läuft auf eine nicht kodifizierte Vorherrschaft des Mächtigsten hinaus.

Die Vereinigten Staaten entschieden sich für eine hegemoniale Option zum Zweck der Regelung einer internationalen Ordnung. Gegenstand dieser Hegemonie sind – neben der Hegemonialoption gegenüber Lateinamerika seit der Monroe-Doktrin von 1823 - vor allem jene 75% der Erdbevölkerung, die Eurasien bewohnen, das heißt das riesige, Europa und Asien umfassende Gebiet. Ziel dieser Hegemonie ist kollektive Sicherheit durch Verhinderung von Anarchie. Anarchie besitzt dabei den Sinn von unkontrollierten Machtoptionen, beispielsweise ein drohender Atomkrieg zwischen Indien und Pakistan. Die Vereinigten Staaten haben sich in den neunziger Jahren für diese Hegemonie entschieden. Sie wird flankiert von einer voranschreitenden Deregulierung der Märkte, das heißt der Globalisierung.

Während dieses Bauvorhabens der bisher größten Hegemonie der Geschichte stürzten am 11. September 2001 Teile des amerikanischen Verteidigungsministeriums und die Türme des World Trade Centers unter anfliegenden Flugzeugen zusammen. Ein drittes Flugzeug war auf dem Wege nach Pittsburgh, vermutlich um dort die Kopie der Sicherheitsdatei des Pentagons zu zerstören. Die USA sind folglich einer strategischen Enthauptung offenbar nur knapp entkommen. Hinsichtlich der Täter und ihrer Organisationen im Hintergrund wird von Todfeinden der USA gesprochen. Die Bilder waren gespenstisch, die unschuldigen Opfer real, die Tatsache von ebenso unbekannten wie totalen Feinden aus dem Nirgendwo offenkundig. Rasch wurden die Angriffe in ihrer Feindseligkeit als Krieg qualifiziert. Unbekannte Feinde hatten versucht, das ökonomische und politische Herz des Zentrums der Weltgestaltung zu zerstören. Doch die Vereinigten Staaten reagierten nicht mit Selbstverteidigung, sondern mit der Ankündigung eines langen Krieges. Eine neue Feindschaft scheint damit für die USA integrierbar in das Ziel der Errichtung einer Hegemonialordnung über Eurasien.

Feindschaft ist eine Relation mit der Eigenschaft der Nicht-Symmetrie. Wer mir feindlich begegnet, dem muss ich nicht automatisch auch und in gleicher Weise feindlich begegnen. Ich kann dies tun, doch ich kann auch darauf verzichten. So hat Großbritannien beispielsweise darauf verzichtet, massive IRA-Bombenanschläge in England mit massiven Bombardierungen in Nordirland zu beantworten. Was eigentlich wissen wir über Feindschaft?

Vor allem eine Position wird heute im Zusammenhang mit Feindschaft wieder diskutiert, nämlich die von Carl Schmitt, jenes Staatsrechtlers, der Hitler Stichworte lieferte und sich durch seine Zusammenarbeit mit dem NS-Regime kompromittierte. Schmitt wollte die politische Unterscheidung als "die Unterscheidung von Freund und Feind” verstehen, wobei der Feind nicht der private, sondern der öffentliche Feind ist. Dieses Verständnis war für Schmitt, ganz im Sinne der Nationalsozialisten, in ein Geschehen eines fortwährenden Kampfes eingeschrieben. "Ebenso wie das Wort Feind”, schreibt Schmitt 1932 in Der Begriff des Politischen, "ist hier das Wort Kampf im Sinne einer seinsmäßigen Ursprünglichkeit zu verstehen.” Daher soll gelten: "Die Begriffe Freund, Feind und Kampf erhalten ihren realen Sinn dadurch, daß sie insbesondere auf die reale Möglichkeit der physischen Tötung Bezug haben und behalten. Der Krieg folgt aus der Feindschaft, denn diese ist die seinsmäßige Negation eines anderen Seins.” Aus der Rückschau wissen wir heute, dass Schmitt nicht identisch argumentierte mit der auf verdeckte völlige Abschaffung des Völkerrechts zielenden NS-Endlösung, deren Genozidernst ihm vor 1945 kaum bekannt gewesen sein dürfte. Was Carl Schmitt vorschwebte, war ein Völkerrecht, welches das ius ad bellum, das Recht auf Kriegsführung wieder einführt. Schmitt wollte zurück hinter das moderne Völkerrecht. Den nationalsozialistischen Eroberungskrieg im Osten versuchte er im Sinne einer Großraumtheorie völkerrechtlich zu rechtfertigen. Dahinter stand die wahnhafte Vision einer deutschen Annexion von großen Teilen Eurasiens. Eurasien, heute Zielgebiet einer US-amerikanischen Hegemonie mit dem Projekt einer Verhinderung unkontrollierter Feindschaften, war somit Ziel eines auf entfesselte Feindschaft gegründeten Krieges. Bereits vor 1938 gab es die Bezeichnung "totaler Krieg”. In diesem Sinne schrieb Carl Schmitt 1938: "Krieg in diesem totalen Sinne ist alles, was [...] aus der Feindschaft entspringt.”

Bei Carl Schmitt kann man lernen, wie man es nicht machen soll. Er zeigt das Szenario eines rückläufigen Völkerrechts, er legitimiert Feindschaft und totalen Krieg. Unklar bleibt dabei letztlich sein nur angedeuteter Begriff der Feindschaft selbst, jene "seinsmäßige Negation eines anderes Seins”. Negation gibt es nur im Bewusstsein und in Sätzen, nicht jedoch auf der Ebene des Seins. Die Definition von Feindschaft durch "seinsmäßige Negation” ist daher im Grunde sinnlos. Schmitt will jedoch etwas anderes sagen und drückt es nur verfremdet aus. Feindschaft bedeutet bei ihm mindestens Tötungsbereitschaft, wenn nicht geradezu das Recht auf Tötung des zum Feind Erklärten.


Möglichkeiten der Entfeindung

Die Situation einer Wiederbelebung der Feindschaft nach dem 11. September 2001 ähnelt nicht durchweg dem, was Schmitt zum Thema der Feindschaft ausgeführt hat. Ein Deutsches Reich als gewaltbereiter totalitärer Staat stand damals unmittelbar bevor, jedoch gab es noch keine unilaterale Supermacht, deren Regierung demokratisch legitimiert ist und sich vor ihren Wählern demokratisch zu verantworten hat. Es gab damals noch keine Massenvernichtungswaffen. Zwar gibt es Terrorismus seit der Antike. Doch zu jener Zeit gab es keine international nachhaltige terroristische Verängstigung. Gleichwohl ist diese Gegenüberstellung alles andere als beruhigend. Wir haben Terrorismus, Massenvernichtungswaffen und wir haben zugleich eine noch unklare Wiederkehr von Feindschaft. Der einzige Trost in diesem Vergleich ist die Abwesenheit eines gewaltbereiten totalitären Staates, der einen Vernichtungskrieg und Völkermord plant.

Es gibt möglicherweise noch einen anderen Trost, und der lautet: der Kapitalismus kennt eigentlich gar keine Feinde. Er kennt nur Konsumenten. Konsumenten beliefert er und Konkurrenten kauft er auf oder verschmilzt mit ihnen. Was das Christentum nicht schaffte, was die Toleranzforderung der Aufklärer nicht zu Wege brachte, der Kapitalismus wäre in der Lage, den Begriff der Feindschaft gegenstandslos werden zu lassen. Wenn sich alles nur um Hyperproduktion und Hyperkonsum dreht, dann gibt es keinen Platz mehr für Feindschaft. Bereits Homer hat dies gleichsam geahnt, wenn sein inkognito zu den Phaiaken verschlagener Held Odysseus von einem Kriegsmann mit folgenden Worten zutiefst beleidigt wird: "Nein doch! Wahrhaftig, Fremder! du siehst mir nicht nach einem Mann aus, der sich auf Kämpfe versteht, wie deren viele unter den Menschen in Übung sind, sondern nach einem solchen, der viel hin und wieder auf einem vielrudrigen Schiff fährt als Anführer von Schiffsleuten, die Händler sind: auf die Ladung bedacht und erpicht auf eine Rückfahrt und den Gewinn, den zu erraffenden! Einem Kämpfer aber gleichst du nicht!” (Odyssee 6.159-164) Hier prallen die Werte einer auf Krieg und Feindschaft hin organisierten Gesellschaft des Adels mit den Werten einer Gemeinschaft aufeinander, die an organisiertem Gewinn orientiert ist und für die Feindschaft und Krieg überflüssige Störfaktoren bilden. "Händler” war ein Schimpfwort. Der Geist des Produzierens, des Handels und des Massenkonsums wäre geeignet, Feindschaft und Krieg als vormoderne Erscheinungen vergangener Zeiten erscheinen zu lassen. Diesen Zusammenhang hatte der Philosoph Immanuel Kant am Ende des 18. Jahrhunderts bereits im Auge, wenn er glaubte, der Geist des Warenaustausches könne uns auf Dauer von der Geißel des Krieges befreien. Und ohne die Entstehung einer internationalen Gemeinschaft des Marktes und des Konsums dürfte jenes moderne Völkerrecht kaum entstanden sein, das Gewaltverzicht besagt und das alte Kriegsrecht abschafft.

Nun benötigt jedoch der Kapitalismus Bedingungen des Rechts und der politischen Macht. Der Zugang zu Rohstoffen muss gesichert werden und die Investitionen können nur bei geregelten Eigentumsverhältnissen erfolgen. Der Kapitalismus braucht also Staat und der Staat braucht den Kapitalismus, denn anders könnte er öffentliches Wohl nicht finanzieren. Aus diesem Grund kann der Staat nicht zulassen, dass der Kapitalismus angegriffen wird und dieser kann nicht zulassen, dass der Staat angegriffen wird. Doch folgt daraus eine unumgängliche Wiederkehr der Feindschaft? Ist es notwendig, dass zwei bis drei feindlich eingesetzte Flugzeuge Feindschaft zum primären politischen Projekt werden lassen?

Eine Notwendigkeit dazu besteht sicherlich nicht. Sie besteht sogar umso weniger, als die treibende Kraft des Kapitalismus Feindschaft gegenstandslos macht oder zumindest gegenstandslos machen würde. Mehr noch, aus dem Sinnloswerden der Feindschaft könnte ein Szenario, vielleicht sogar ein Modell folgen, das die Ereignisse vom 11.September zum Anlass nimmt, um die längst angelaufene, jedoch überhaupt nicht erreichte Abschaffung der Feindschaft weiter voranzutreiben und organisierter zu betreiben als bisher. Dafür müsste ein Preis gezahlt werden. Kritisch formuliert lautet er: Globalisierung darf nicht zu einer Globalisierung von Armut und Verelendung werden. Solange dies der Fall ist, lässt sich mit militärischen Mitteln nicht verhindern, dass dies als Anlass und Instrument für gewalttätig organisierte Feindschaften dient. 1918, nach dem Inferno des Ersten Weltkrieges, ist eine Weltordnung des heute wünschbaren Typus fast gleichzeitig von Lenin und dann vor allem von dem amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson vorgeschlagen worden. Wilson scheint dabei die Möglichkeit der Abschaffung von Feindschaft auf der Basis kapitalistischen Welthandels gesehen zu haben. Seine vierzehn Punkte von 1918 forderten unter anderem Selbstbestimmungsrecht aller Völker, Beschränkung der Rüstung auf Garantien für die innere Sicherheit, Abbau aller Handelsschranken. Im Hinblick auf die Rüstung wirkt Wilsons Forderung heute utopisch. Die USA übertreffen mit 281 Milliarden Dollar für Rüstungsausgaben im Jahre 2000 die Rüstungssumme der Staaten Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Russland, Japan und selbst Chinas, eine Summe, die sich auf nur 214 Milliarden Dollar beläuft. Der für 2003 vorgesehene Rüstungsetat der USA übersteigt selbst jene 281 Milliarden Dollar noch. Hinsichtlich der US-Hegemonie über Eurasien darf unter dem Gesichtspunkt der Feindschaft bemerkt werden, dass das Hegemonialziel der globalen Befriedung mit dem Einsatz von Gewalt kompatibel ist. Die US-Hegemonie ist eine Hegemonie im Schatten einer Hochrüstung der USA. George W. Bush hatte bereits 1999 als Kandidat verkündet, er wolle die USA "gegen Raketen und Terror verteidigen" und "die Armee für das nächste Jahrhundert" schaffen.

Im Hinblick auf die Erhöhung der Friedenschancen durch Erweiterung des Welthandels bleibt dagegen Wilsons Vision aktuell, sofern man eine Bedingung hinzufügt: Verteilungsgerechtigkeit. Wenn es dem Kapitalismus gelänge, die immer wieder eingeforderte Verteilung des Reichtums zu erreichen, ohne dabei Mehrheiten dauerhaft zu benachteiligen, dann würden Feindschaften vermutlich zu einem peripheren Phänomen.

Dieses Modell ergibt nicht unbedingt eine Utopie. Es handelt sich nicht notwendig um eine Vorstellung, die ab und zu zwar geäußert wird, jedoch in der Absicht, dass nichts unternommen wird, um sie zu verwirklichen. Jene US-Hegemonie über Eurasien könnte beispielsweise gar nicht funktionieren, wenn sie nur auf der Basis eines Schutzes durch mehrfachen militärischen Overkill existieren sollte. Ohne Konzepte und ohne Praxis umfassender Verteilungsgerechtigkeit wäre jene Hegemonie bloß eine Zwangsgemeinschaft ohne wirkliche Lebenschancen.


Beschwörungen des Bösen

Das Modell einer Abschaffung oder Marginalisierung von Feindschaft mag rational, wünschenswert und zudem ein Teil der Logik des Kapitalismus sein. Es wird jedoch nicht von den Verhältnissen erfüllt, wie sie zurzeit bestehen. Diese sind unklar, vielleicht sogar mysteriös und gespenstisch. Die Rückkehr der Feindschaft begann mit dem Versuch von Enthauptungsschlägen gegen die USA.

Der US-Präsident hat den Globus moralisch nach Gut und Böse aufgeteilt und dabei die Metapher einer Axis of Evil, einer Achse des Bösen geprägt. Das ist mehr als Reagans Metaphorik eines Evil Empire für die ehemalige Sowjetunion. Eine Achse des Bösen bildet nämlich keinen statischen, keinen ruhenden Bereich, sondern evoziert Bewegung, die Bewegung eines auf uns zurollenden Gefährts des Bösen. Das Böse ist dabei der Feind. Welche Art Feind? Ein eindeutiger Feind. Die relevanten Bezüge lassen sich in drei Sätze fassen:

1. Die Welt teilt sich in Gut und Böse. 2. Wer zu den Guten gehört, ist bekannt. 3. Die Guten sollen die Bösen bekämpfen. Wer beansprucht dies? Die Vereinigten Staaten von Nordamerika und jene Staaten, die mit diesem Staat eine Allianz eingehen oder eingingen. Wo findet sich hierbei keine Eindeutigkeit? Man kann sogar die Quelle des Eindeutigen benennen, sie liegt im zweiten Satz. Man weiß, wer zu den Guten gehört. Und wer ist es? Diejenigen Staaten, die keine Terrorakte gegen andere verüben, sondern die selbst Opfer solcher Akte wurden oder werden können. Damit wird ein Wörterbuch aufgeschlagen, das man zum Verständnis der drei Sätze vermutlich benötigt. Das Wörterbuch führt auf die Vokabeln Opfer, Täter, Terrorakte, Terroristen, Terrorismus. Opfer ist, wer etwas durch andere erleidet. Täter ist, wer andere zu Opfern macht. Opfer und Täter können ihre Plätze auch vertauschen. Und häufig wird jemand Opfer, weil er vorher Täter war. Nebenbei ergäbe sich hier eine nützliche Definition von Feindschaft: Man wird Feind, um nicht Opfer zu werden. Feindschaft wäre dann der Widerstand, den man Tätern entgegensetzt, um zu verhindern, ihr Opfer zu werden.

Doch was bedeutet "Terrorismus"? Im Unterschied zu Gut und Böse enthält diese Vokabel nicht nur eine Bewertung, sondern auch eine Beschreibung. Terrorismus leitet sich von Lateinisch "terror" ab, was "Schrecken" bedeutet, und meint "die Befürwortung von Schrecken". Schrecken meint, dass andere sich fürchten, dass sie Angst haben um ihr eigenes Leben und das ihrer Angehörigen, ihrer Freunde und Bekannten. Ein Terrorist ist daher jemand, der will, dass andere in Zustände dieser Angst geraten oder gar darin gehalten werden. Daher hat die Erforschung von Terrorismus hervorgehoben, dass nicht nur andere getötet werden sollen, sondern dass damit die nicht Getöteten nachhaltig in Angst versetzt werden. Das wiederum führt zu der Überlegung, ob Terrorismus nicht als Strategie der nachhaltigen Verängstigung verstehbar sei. Setzen wir diese Angabe in den zweiten Satz ein, so erhalten wir die Aussage, dass diejenigen die Guten sind, die Opfer einer nachhaltigen Strategie der Verängstigung werden und die zugleich selbst eine solche Strategie nicht verfolgen. Wer jedoch ist das? Die Antwort fällt nicht schwer: das sind doch wohl fast alle Erdenbewohner, das ist die Mehrheit aller Menschen dieses Globus. Eine Strategie nachhaltiger Verängstigung scheint mit keinem Beruf vereinbar zu sein, außer im Fall des Missbrauchs wie etwa bei Lehrern an Schulen und Hochschulen. Und Tätigkeiten von Drückerbetrieben oder Mafiaorganisationen mögen manche als Berufung ansehen, die Ehre von Berufen besitzen sie nicht. Daraus folgt: Terroristen sind Minderheiten. Dass Minderheiten notwendig unwirksam seien, ist ein Mythos, der von jeder optimal organisierten Minderheit widerlegt wird. Totalitäre Politregimes schaffen es, mit wenigen Dutzend Tätern die eigenen Völker zu terrorisieren.

Terroristen also sind Minderheiten, die über eine Strategie nachhaltiger Verängstigung verfügen. Zu welchem Ziel? Ein Zusatz scheint erforderlich: Zielgebiet terroristischer Minderheiten sind nicht etwa Minderheiten, sondern Mehrheiten. Nachhaltig verängstigt werden sollen Mehrheiten. Da nun alle Einflussnahme auf Mehrheiten politisch ist, folgt, dass Terrorismus eine Form politischer Einflussnahme darstellt. Terrorismus definiert sich somit als politische Strategie nachhaltiger Verängstigung von Mehrheiten durch als Planungs- und Ausführungstäter aktive Minderheiten. Es ist zu vermuten, dass diese oder eine ähnliche Definitionen von "Terrorismus" auch für die politischen Planungsstäbe der politischen Organisationen gelten, deren Ziel die Terrorismusbekämpfung darstellt. Zumindest scheint sie mit deren Selbstverständnis vereinbar. Definitionen bestimmen nicht unbedingt das Handeln, vielmehr sind sie oft erst Resultat aus Erfolg und Misserfolg von Aktivitäten.

Betrachten wir nun weiter die Eindeutigkeit des zweiten Satzes: Wer zu den Guten gehört, ist bekannt. Wir fanden, dass es die Mehrheit der Erdbevölkerung ist. Die Menschen als Globalkollektiv sind also die Guten. Sie sind potentielle Opfer der nachhaltigen Verängstigungsstrategie der Terroristen. Wirklich? Das widerspricht offenkundig der Empirie, denn es würde voraussetzen, dass die Weltbevölkerung als ganze von den Terroristen bedroht fühlt und bedroht wird. Niemand weiß jedoch etwas Genaues über die Gefühle der gesamten Weltbevölkerung. Auch ist nicht bekannt, dass es einen Terrorismus gibt, der uns alle gleichermaßen bedrohen will. Wenn also die Eindeutigkeit der Moral-Globaltrias den Sinn der Verängstigung der Erdbevölkerung durch eine terrorbereite Minderheit besitzen soll, so lässt sich weder diese Erdbevölkerung noch dieser Terrorismus identifizieren. Damit entfällt ein Kandidat der behaupteten Eindeutigkeit. Doch es gibt andere Kandidaten. Die Guten, so könnte man auch sagen, sind die Opfer von Terroranschlägen. Sie sind insofern gut, als sie unschuldig sind. Die in New York oder die in Israel Getöteten sind in diesem Sinn die Guten. Diese Guten allerdings können die Bösen nicht mehr bekämpfen. Nun gibt es zwischen diesen toten Guten und den Lebenden solche, die den Toten näher standen als andere beziehungsweise die von den Anschlägen mehr betroffen sind als andere. Dann wären die Guten: Angehörige und Freunde der Opfer und sonstige, die enger betroffen sind. Enger betroffen sind Menschen, die auch hätten getötet oder verletzt werden können. Doch ist dies nicht zu wenig? Waren im ersten Fall die Guten zu viel, nämlich die gesamte Erdbevölkerung, so sind sie im zweiten Fall zu wenig, nämlich nur die Zahl der Angehörigen und Freunde der Opfer sowie die potentiellen Opfer.


Politische Macht und das Böse

Daraus folgt, dass die Eindeutigkeit über die Guten sich nicht finden lässt. Es ist nicht bekannt, wer zu den Guten gehört. Doch dies scheint kein Hindernis für politische Akteure zu sein. Was nicht der Fall ist, das lässt sich herstellen, und die Chance dazu ist eine Chance von etwas, was bisher noch immer nicht begrifflich-theoretisch geklärt werden konnte: eine Chance von Macht. Zur Verständigung sei eine kurze Bemerkung über das Phänomen der Macht eingefügt: Alle Beschreibungen von Macht scheinen soziale Beziehungen zu meinen, in welcher Personen ohne identifizierbaren Befehl wiederholt so handeln, als folgten sie Befehlen. Wer in dieser Weise handelt, vermag jedoch nicht wirklich anzugeben, warum er wiederholt so und nicht anders handelt. Aber auch die Machtinhaber vermögen nicht wirklich anzugeben, weshalb dasjenige wiederholungs- bis regelmäßig wirklich getan wird, was sie für wünschenswert halten. Machtbeziehungen funktionieren frei von Vereinbarungen über die Art der Beziehung. Macht erscheint daher als eine soziale Beziehung der fraglosen und wiederholungsfähigen asymmetrischen Quasi-Folgeleistung. Eine solche Beziehung ist nicht herstellbar wie Rechts- oder Kommunikationsbeziehungen, die auf Symmetrien angewiesen sind. Wer ein Recht beansprucht, geht damit zugleich die Verpflichtung ein, dasselbe Recht auch anderen einzuräumen. Wer mit anderen spricht, befindet sich in einem Gespräch wechselseitiger Äußerungen. Recht und Kommunikation können hergestellt, geplant und aus Teilnehmer- und Beobachtersicht analog beschrieben werden. Machtbeziehungen können dagegen weder in direkter Intention hergestellt noch adäquat beschrieben werden. Der oft beschworene Hunger nach Macht bedeutet ein unscharfes Ziel, für das es keine Wegbeschreibung gibt. Diese doppelte Unbestimmtheit – unscharfes Ziel, fehlende Wegbeschreibung – hindert jedoch nicht, dass Macht angestrebt wird. Im Gegenteil, die Unbestimmtheit der Macht wirkt offenkundig als ein umso größerer Anreiz des Strebens. Dies teilt das Machtstreben mit dem Streben nach Glück, das als Ziel noch unbestimmter ist als das Machtstreben und dessen fehlende Wegbeschreibungen durch eine boomende Industrie der fiktiven Highways erfolgreich verdeckt werden.

Die Unbestimmtheit der Macht hat zudem unscharfe Grenzen an zwei Phänomenen, die durch und durch bestimmt sind, nämlich Recht und Tatsächlichkeit. Macht, wo immer sie auftritt, arbeitet an Veränderungen von Recht und Tatsächlichkeit. Ohne dass geltendes Recht geändert und ohne dass Tatsächliches umgedeutet wird, wäre Macht inaktiv. Keine Regierung eines so genannten Rechtsstaates versäumt es daher, bestehende Gesetze während ihrer Machtzeit zu ändern. Keine Macht versäumt daher die Berichterstattung zu kontrollieren. Wer der Ansicht ist, Macht sei etwas Böses und Korrumpierendes, das die Tatsachen verfälsche und Recht zerstöre, orientiert sich in der Regel eher an Fällen des Extrems, die jedoch ihrerseits Macht eher in Zuständen ihrer Gefährdung und ihres Endes statt ihres Erfolges beinhalten. Machterfolg scheint vielmehr an Kommunikation mit Hilfe eines Signifikanten gebunden zu sein: an das Wort Freiheit. Erfolg und Misserfolg von Macht hängen vermutlich auch von einem öffentlichen Gebrauch dieses Wortes ab, der ihm den Status universellen Rechtes sichert und gleichzeitig die Bedeutung von selbstbezüglicher und rechenschaftsenthobener Handlungsweise garantiert. Freiheit ist selbstverständlich die Freiheit aller, aber sie bietet stets auch die Chance das eigene Handeln zu bezeichnen, das von eigenen Motiven und Zielen bestimmt wird, über die ich, sofern ich frei bin, anderen keine Rechenschaft schulde. Wir können diesbezüglich von einer performativen Äquivokation der Freiheit sprechen. In diesem Sinn kann für weltweite Freiheit geworben und damit zugleich der eigene Machtspielraum erweitert werden.

So ergibt sich, dass man über die soziale Beziehung der Macht – definitorisch verstanden als fraglose und wiederholungsfähige asymmetrische Quasi-Folgeleistung - in einem mehrfachen Sinn sprechen kann: als kognitive Unbestimmtheit, als Tendenz zur Veränderung von Recht und Fakten, als performative Äquivokation von Freiheit. Eine vierte Zuschreibung scheint unumgänglich. Sie besteht indes nicht darin, dass Macht ein Ziel benötigt. Dies wird zwar gern unterstellt und böte den Vorteil, Macht nunmehr als Instrument kognitiv einzugrenzen. Sicherlich trifft es zu, dass Macht mit Zielen verbunden werden kann und soll, die nicht selbst Macht besagen - wie zum Beispiel bestimmte Verbesserungen der Lebensqualität aller Menschen - , doch hierbei handelt es sich um Zusätze zur Macht, nicht um deren Struktur. Das vierte Machtkennzeichen ist ein Verhinderungsbedarf. Wer Macht anstrebt oder besitzt, muss offenbar stets bezeichnen, was er damit verhindern will.

Betrachtet man die mit der Präsidentenwahl von Ende 2000 an die Macht gelangte US-Regierung im Hinblick auf diese vier Merkmale, so erfüllt deren Machtform in einem ungewöhnlichen Ausmaß zwei dieser Merkmale, von denen nur eins für das Thema der Feindschaft von besonderem Gewicht ist. Zunächst ist diese Administration nach allem, was heute aus den USA darüber bekannt ist, Resultat erheblicher Eingriffe in Fakten und Recht bei der Stimmauszählung bei der Präsidentenwahl. US-amerikanische Autoren sprechen davon, dass der von Republikanern dominierte Supreme Court in den Vereinigten Staaten selbst auswählte, wer der Präsident sein sollte, was eine Umschreibung für den Tatbestand "Putsch" oder "Usurpation" gekennzeichnet wird. Diese die Demokratiepraxis der USA belastende Entstehungsgeschichte einer Machtformation, die wir hier ausklammern müssen, wird in der Machtpraxis durch einen extremen Verhinderungsbedarf ergänzt. Es handelt sich um einen Verhinderungsbedarf, der sich als Ursprung der Herstellung der bezeichneten Eindeutigkeit vermuten lässt, wonach sich die Welt in Gut und Böse teilt, die Guten bekannt sind und die Guten die Bösen bekämpfen sollen. Man will verhindern, dass man von Fremden bedroht wird. Um dies zu erreichen, nimmt die derzeit bestimmende Machtformation erhebliche Eingriffe in Recht und Fakten in Kauf. Diese Eingriffe sind wiederholt durch die Medien gegangen und wurden dort wieder von etwas verdrängt, was offenbar stärker zu sein vermag als die Deformation von Fakten und Recht: das Bild des Feindes als das Böse. Zu vermuten ist, dass die Herstellung moralischer Eindeutigkeit, obwohl riskant, in dem Maße erfolgreich ist, als Tatsachen und Recht dabei Barrierefunktion verlieren. Eine Reihe von Tatsachendarstellungen, die unter anderen Umständen vermutlich längst zu kaum noch von Machtoptionen überwindbaren Barrieren geworden wären, ließen sich neutralisieren: Das die Täterschaft Bin Ladens beweisende Video wurde von Hamburger Islamwissenschaftlern wegen fehlerhafter Übersetzung der Zeitangaben als nicht hinreichend beweiskräftig befunden. Seit Herbst 2001 tauchen in den Medien Meldungen auf, die eine andere als die offizielle Vorgeschichte der Ereignisse vom 11.9.2002 ergäben: nicht nur sollen der US-Regierung eine Reihe von Hinweisen auf die bevorstehenden Attentate vorgelegen haben, auch die Bombardierung Afghanistans sei bereits beschlossen gewesen. Das dagegen offiziell vorgebrachte Neutralisierungsargument lautet, dass man sich doch gemeinsam in einem dauernden Krieg gegen das Böse befinde. Je beweiskräftiger entgegenstehende Hinweise auf mögliche anders lautende Fakten zu werden drohen, desto stärker wächst die Bedrohung durch das Böse. Der Verhinderungsbedarf der Macht wird offenbar zum Maß der von ihr betriebenen Fakten- und Rechtsveränderung.

Die derzeit bestimmende Machtformation geht auch hinsichtlich der Rechtsveränderung über alles hinaus, was eine Demokratie bisher in dieser Richtung unternommen hatte. Grob gesprochen verhält man sich entgegengesetzt zu dem eigenen Verhalten im Krieg gegen das Deutschland Hitlers. Legte man damals den Grundstein für ein Völkerrecht, das Gewalt zur Konfliktregelung verbietet, so wird nunmehr daran gearbeitet, eben diese Basis des Völkerrechts zu verkleinern, indem man sie für andere verpflichtend macht, das eigene Handeln aber davon ausnimmt. Abgesehen von der Weigerung der Vereinigten Staaten zu einer Mitarbeit beim Verbot von Anti-Personen-Minen, bei der Kontrolle biologischer Waffen und bei dem internationalen Strafgerichtshof werden seit der Besiegung der Taliban in Afghanistan weiter Bomben abgeworfen, wobei es Laien wie Völkerrechtlern schwer fällt, dies noch als Akte der Selbstverteidigung zu deuten. Ein noch anderer Zug der machtbestimmten Rechtsveränderung, der offenbar zunehmend interessant wird, ist der Präventivkrieg als Mittel der Selbstverteidigung. Von völkerrechtlicher Seite wird seit langem dagegen argumentiert: Präventivkrieg als Mittel der Selbstverteidigung verleitet zum Missbrauch durch den Stärkeren, weil dieser nunmehr willkürlich definieren könne, wann ein Angriff zu erwarten sei, dem man zuvorkommen müsse.

Es muss der Gesellschaftstheorie überlassen werden, diese Nutzungen von Macht nicht so sehr als Ideologie, sondern – wie Klaus Eder für die ältere deutsche Entwicklung vorschlägt - als Pathologie zu deuten, in welcher eine Gesellschaft ihre eigenen Strukturvoraussetzungen ganz oder teilweise zerstört. Es ist auch noch zu früh, darüber definitiv urteilen zu wollen. Auffällig ist jedoch die Beschleunigung, mit welcher die politische Macht in den Vereinigten Staaten die Möglichkeit des Eingriffs in Recht und Faktendarstellung in deformativer Weise nutzt.


Politische Theologisierung

In den Schulen der USA wird mehrheitlich eine Treueformel gesprochen, in welcher die Vereinigten Staaten als eine "Nation unter Gott” erscheinen. Dieser Zusatz von 1954 ist in den USA zwar umstritten, doch er wurde von Präsident Eisenhower gelobt. Auf diese Weise werden, so Eisenhower, "die spirituellen Waffen gestärkt, welche für immer in Frieden und Krieg die mächtigsten Ressourcen unseres Landes” darstellen. In den USA herrscht zwar strikte Trennung von Kirche und Staat, doch weitaus mehr als andere westliche Demokratien beruft sich das Gründungsdokument der Vereinigten Staaten von 1776, die Unabhängigkeitserklärung, nicht bloß auf ein Höchstes Wesen, sondern auf Gott als "den höchsten Richter der Welt” ( the Supreme Judge of the World) und auf den "Schutz göttlicher Vorsehung” (Protection of divine Providence). Mehrheitlich lehnt die US-amerikanische Gesellschaft die Darwinsche Evolutionstheorie ab und glaubt stattdessen, dass die Natur direkt von Gott geschaffen wurde. In den USA scheinen christlicher Fundamentalismus und Moderne miteinander kompatibel zu sein. Deshalb konnte beispielsweise der einflussreiche protestantische Prediger Falwell unmittelbar nach den Attentaten vom 11.September diese im Fernsehen zu Aktionen erklären, mit denen Gott die USA wegen ihrer Zulassung von Feminismus und Homosexualität bestraft! Wenn es sich so verhält, dann erscheint es zumindest nicht unmöglich, dass die in der Axis of Evil bezeichnete Feindschaft an eine Feindvorstellung anschließen kann, wie sie vom Christentum erfunden und zeitweise auch praktiziert wurde. Eine solche Feindschaft dämonisiert den Feind. Der Feind besteht nicht nur aus bestimmten, räumlich und zeitlich lokalisierten Menschen. Vielmehr ist der eigentliche Feind eine dämonische Macht, die hinter dem sichtbaren Feind steht und diesen antreibt. Feinde dieser Art, das waren für die Christen teils andere Sekten, teils Hexen, teils - in der Zeit der Kreuzzüge - die Muslime, die das Heilige Land besetzt hielten. Für die Puritaner Nordamerikas waren die absoluten Feinde die Indianer, sie galten als Kinder des Satans. Hinter diesen Gruppen stand immer der Satan oder der Antichrist.

Die Reden des US-Präsidenten enthalten hinsichtlich des Terrorismus vor allem zwei Elemente: Erstens Hinweise auf die politische Bedrohlichkeit des Feindes, gefolgt von seiner moralischen Bösartigkeit und zweitens eine theologische Schlussformel. Stärker als die politischen Attribute sind die moralischen Qualifikationen. Hier werden die Anschuldigungen unüberbietbar: "Wir sind mit einem rücksichtslos machtgierigen Feind konfrontiert, der durch kein Gesetz oder Moral gebunden ist." Die Terroristen erscheinen als "Parasiten", die " keine innere Stimme der Vernunft und kein Gewissen" kennen und " den Schrecken des Bösen" wollen. Die theologische Schlussformel kann, wie in der Bush-Rede vor dem deutschen Parlament am 23. 5. 2002, theologisch-apotheoseartig ausfallen: "Bonhoeffer glaubte, Gott könne und wolle Gutes aus allem, sogar aus dem Bösen, schaffen." Die Existenz des Bösen und seine Bedrohung sind nicht das letzte Wort. Der Kampf gegen den Terrorismus der anderen ist nicht nur der Kampf gegen das Böse. Er ist mit seinem Sieg über das Böse nicht mehr und nicht weniger als der Vollzug der Gerechtigkeit Gottes angesichts der Weltübel. Das Oval Office beansprucht keinerlei autoritative Kraft der Setzung und Durchsetzung von Dogmen. Es beansprucht nur Gefolgschaft der Macht bei der Durchsetzung einer geostrategischen Option. Dass damit eine Theologie verbunden wird, erscheint aus europäischer Sicht als Rückfall in vormoderne Selbstlegitimationsversuche monarchischer Herrschaft und ihrer Entscheidungen. In den Vereinigten Staaten jedoch fehlt jene europäische Säkularisierung, die eine politische Theologisierung verhindert.

Im Februar 2002 haben US-Intellektuelle, darunter Samuel Huntington und Michael Walzer, ein Manifest für einen gerechten Krieg publiziert. Ihr Votum läuft hinaus auf den Satz: Wir sind gegen Säkularisierung, wissen uns im Besitz objektiver moralischer Maßstäbe und befürworten mit ihrer Hilfe einen Krieg gegen die Bösen, die sich als unsere Vernichtung betreibende Feinde zu erkennen gaben. Der Angreifer ist also durch unversöhnliche Feindschaft motiviert. Die Antwort heißt: Beseitigung des Feindes. Unverhohlen wird nicht von Besiegung, sondern von Beseitigung gesprochen.

Was derzeit als politische Theologie von den USA ausgeht und was das Weltschicksal vermutlich bestimmen wird, lässt sich überspitzt mit einem Vorgang vergleichen, der sich in Europa bereits vor siebenhundert Jahren ereignete. 1302 nämlich erreichte der weltliche Machtanspruch des Papstes sein Maximum. In einer Bulle mit dem Titel Unam Sanctam beanspruchte Papst Bonifatius VIII. absolute Unterwerfung unter seine Autorität: "Somit erklären, behaupten und entscheiden wir, dass es allen menschlichen Geschöpfen überhaupt zum Seelenheil notwendig ist, sich dem römischen Bischof [das heißt dem Papst] zu unterwerfen." Die Bulle des Papstes zielte gegen den französischen König Philipp den Schönen, der sich dem Papst nicht unterwerfen wollte. Dieser König jedoch "überfiel den Papst", wie der große Historiker Leopold von Ranke es formuliert, "und setzte ihn gefangen, worüber dieser in einem der Raserei ähnlichen Zustand verstarb." Damit, so Ranke weiter, "vernichtete er die Idee der allgemeinen Autorität" des Papstes. Siebenhundert Jahre später dagegen findet ein maximaler politisch-theologischer Machtanspruch eine Gefolgschaft, die dem Oberhaupt der katholischen Kirche im Augenblick seines äußersten Anspruchs auf Unterwerfung versagt blieb.

Ist es jedoch wirklich wahrscheinlich, dass dieser dämonisierte, dieser absolute, allgegenwärtig-unheimliche Feind aus der Sicht der USA tatsächlich wiederkehrt? Noch gilt, dass ein Gefährt des Bösen nur mit einer metaphorischen Achse auf die westliche Zivilisation zurollt. Noch ist der absolute Feind Metapher. Doch wir wissen, dass Bilder und Metaphern das Gemüt der Menschen mehr bewegen und motivieren als begrifflich-abstrakte Angaben. Auch waren jene absoluten Feinde der Christen allesamt durch Metaphern bezeichnet wie "Hexen”, "Satanskinder”, "Antichrist”. In einer Gesellschaft wie der amerikanischen, in der - sehr zur Beunruhigung vieler dortiger Intellektueller - christlicher Fundamentalismus als Teil der Moderne gilt, in einer solchen Gesellschaft stößt eine politische Metaphorik vom radikal bösen Feind nicht unbedingt auf taube Ohren.

Etwas anderes kommt hinzu. Jede extreme Rhetorik provoziert extreme Rhetorik. So ergeht es auch der Metapher von der Axis of Evil. Für die angesehene politische Monatszeitschrift Le monde diplomatique bilden nicht etwa der Irak, Iran und Nordkorea die böse Achse. Die wahre Achse des Bösen stellen vielmehr der Internationale Währungsfonds, die Weltbank und die Welthandelsorganisation dar, die dem Globus die "Diktatur des Marktes, den Vorrang des privaten Sektors, den Kult des Profits” aufnötigen. Somit hat sie bereits begonnen, eine Gespensterrhetorik und Gespensterdebatte über den allgegenwärtig absolut bösen Feind, dessen Identifikation mangels Kriterien allerdings blind bleiben muss.

Vielleicht wird ja auch bloß übertrieben, bloß heiß gekocht, um warm gegessen zu werden. Vielleicht scheint es wirklich realistischer, wenn wir die Axis of Evil als Begleitrhetorik für etwas anderes auffassen, was eine andere Beschreibung verlangt. Wir haben uns nämlich seit Clausewitz daran gewöhnt, Krieg als Teil und Fortsetzung der Politik zu verstehen. Das Staatshandeln geschieht danach als Politik, zu deren Mitteln nur ausnahmsweise Krieg gehört. Der französische Denker Michel Foucault hat uns jedoch nachdrücklich daran erinnert, dass Clausewitz eine ältere Auffassung von Krieg und Politik bloß umgedreht habe. Danach nämlich galt: Politik ist die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Im zwischenstaatlichen Verhältnis wäre demnach Konflikt und Krieg der Normalzustand. Die Politik ist dann dazu da, den Konflikt so zu steuern, dass es nicht zu Katastrophen kommt. Es war diese Auffassung, die seit Hobbes vielfach das politische Denken und Handeln der Neuzeit bestimmte. Sie ging mit einem entsprechend finsteren Bild vom Menschen einher: Der Mensch sei von Natur aus böse, sei auf die Vernichtung anderer Menschen aus, jeder sei der natürliche Todfeind des anderen.

Zwischen jener frühen Neuzeit mit diesem Menschen- und Politikverständnis und unserer Situation liegen die aufgezählten Vernichtungskriege und Genozide, jedoch auch das moderne Völkerrecht und die Möglichkeit der Abschaffung von Feindschaft in einer verteilungsgerechten Globalisierung. Es wäre psychologisch nachvollziehbar, wenn bei der politischen Entscheidungsfindung in den Vereinigten Staaten wie folgt argumentiert würde: "Wir befinden uns auf dem Weg einer Abschaffung der Feindschaft. Wir können diesen Weg jedoch nur dann weiter verfolgen, wenn wir zuvor diejenigen ausschalten, die auf Todfeindschaft gegen uns setzen.” Ist dazu jedoch ein absoluter, dämonisierter Feind nötig oder ein zwischenzeitliches Verständnis von Politik als Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln? Man könnte einwenden, dass die terrorbereite Gegenseite keine Probleme damit hat, die USA und den Westen zu dämonisieren und sich selbst in einem permanenten Kriegszustand mit der Wertegemeinschaft des Westens zu erblicken. Doch dies ergibt deshalb keine gute Rechtfertigung für eine westliche Politik der Feindschaft, weil dann die Gegenseite die eigene Strategie schreiben würde. Das mindert die Chancen des westlichen Erfolgs bereits am Anfang. Eine andere Rechtfertigung für absolute Feindschaft beziehungsweise für Politik als Kriegsfortsetzung könnte lauten: Um Barbarei endgültig zu verhindern, bleibt kein anderer Weg, als zeitweilig selbst in die Barbarei einzutauchen. Auch dies ergibt keine hinreichende Rechtfertigung für die eigene Sache. Der Zweck einer Abschaffung von Feindschaft heiligt nicht das Mittel der Abschaffung von Menschen, die als totale Feinde vermutet werden. Eine sehr alte, von Voltaire wieder entdeckte Moralregel besagte: Wenn du dir einer Handlungsweise nicht sicher bist, so unterlasse alle entsprechenden Handlungen in dieser Richtung!


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